Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

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§ 54. Die geistige Oberschicht und die Literatur 
Zeitschrift die Bezeichnung „jüdische Nation“, an deren Stelle nun 
mehr das Wort „Israeliten“ trat. In der Zeit zwischen 1808 und 
1812 war die „Sulamith“ eigentlich nichts als ein Leiborgan des 
Israel Jacobson und des Kasseler Konsistoriums (oben, § 3i), 
zu dessen aktiven Mitgliedern auch der Herausgeber der Zeitschrift 
selbst gehörte. Als ihre Mitarbeiter wirkten neben David Friedländer 
die später hervorgetretenen Verfechter der religiösen Reform: Salo^- 
mon, Klee, Johlson u. a. Ihrem Inhalt und ihrer literarischen Form 
nach stellte die „Sulamith“ im Vergleich zu dem mehr populär 
redigierten „Sammler“ einen bedeutenden Fortschritt dar, die neue 
Generation ließ jedoch das deutsche Organ ebenso wie seinen he 
bräischen Vorgänger im Stich: hatte sie doch inzwischen nicht allein 
die Kenntnis der nationalen Sprache, sondern auch alles Interesse für 
jüdische Literatur in jedem Sprachgewande eingebüßt. 
Höchst bezeichnend ist es, daß die Judenheit Deutschlands im 
Zeitalter der „ersten Emanzipation“ keinen einzigen Schriftsteller 
von Rang, weder im Bereiche der jüdischen Wissenschaft noch in 
dem der schönen Literatur, hervorgebracht hat. Das jüdische Schaffen 
war in dieser Übergangsepoche, während der die Assimilation in den 
Reihen der jüdischen Intellektuellen furchtbare Verwüstungen an 
gerichtet hatte, völlig lahmgelegt. Die von dem Prozeß der Zer 
setzung noch nicht berührten orthodoxen Massen standen aber dem 
hereinbrechenden Unheil wie von einem Starrkrampf befallen gegen 
über, unfähig, mit den ihnen zu Gebote stehenden verrosteten Waffen 
dem Ansturm der neuen historischen Mächte zu trotzen. 
Alles, was sich in der damaligen Judenheit zum Freidenkertum 
bekannte, wurde durch den Kosmopolitismus der Revolutionsepoche 
mit in den Strudel gerissen. Die Vernichtung aller Scheidewände zwi 
schen den Nationen, die Verschmelzung aller Volkstypen wurde das 
Losungswort des Fortschritts. Der oberflächlichen Betrachtungsweise 
jener Zeit schienen alle kulturhistorischen Unterschiede ein ebenso 
künstliches Produkt zu sein wie die von der Ständeordnung und dem 
Absolutismus geschaffenen sozialen Unterschiede. In der Praxis 
lief indessen das jüdische Weltbürgertum auf eine Verneinung nur 
des jüdischen Volkstums hinaus, da die zweite Losung der Epoche, 
die Assimilation, die Juden in die Sphäre der nationalen Interessen 
der sie umgebenden Völker, der Deutschen, Franzosen usw., hinein 
zog und sie zu Patrioten von einer ganz bestimmten nationalen Fär- 
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