Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Der Emanzipations- und Kulturkampf in Deutschland 
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im Laufe dieser Zeit an drei verschiedenen Orten: in Berlin, Königs 
berg, Breslau). Die Ursachen dieses Mißgeschicks liegen auf der 
Hand: die aus der deutschen Schule hervorgegangenen und mit der 
deutschen Literatur vertraut gewordenen gebildeten Juden kümmer 
ten sich immer weniger um die nationale Sprache, die Reihen ihrer 
„Freunde“ lichteten sich zusehends und gleichzeitig mit dem Verein 
dieser Freunde schrumpfte auch der „Sammler“ zusammen, der 
mangels Zufuhr von frischen literarischen Kräften und eines wach 
senden Leserkreises von den einmal ins Auge gefaßten elementaren 
Bildungszielen nicht abzukommen vermochte, bis ihm schließlich der 
Atem ausging. Der Herausgeber des „Sammlers“, Schalom ha’Kohen, 
der im Jahre 1809 den eben erwähnten letzten Rettungsversuch unter 
nommen hatte, beklagte sich bitter: „Beklommenen Herzens sahen wir 
den Verfall unserer dahinsiechenden heiligen Sprache. Die Zahl ihrer 
Freunde verringert sich von Tag zu Tag. Soll denn wirklich jede 
Hoffnung aufgegeben werden, ihr Ansehen zu heben und den Völkern 
ihre Schönheit zu offenbaren?“ Es sollte sich indessen zeigen, daß im 
damaligen Deutschland die „heilige Sprache“ nicht nur den „Völkern“, 
sondern sogar dem einzigen Volke, für das sie einen Kulturwert hätte 
bedeuten müssen, völlig gleichgültig geworden war. Das hebräische 
Organ mußte einem jüdischen Organ in deutscher Sprache Platz 
machen. 
Schon im Jahre 1806 wurde in Dessau, der Geburtsstadt Mendels 
sohns, die Monatsschrift (sie erschien später nur alle zwei Monate) 
„Sulamith, eine Zeitschrift für Beförderung der Kultur und Huma 
nität unter der jüdischen Nation“ begründet. Ständiger Herausgeber 
war der bereits genannte David Fränkel, der Leiter der jüdischen 
Schulen im Herzogtum Anhalt-Dessau und Mitglied des Jacobson- 
schen Konsistoriums im Königreich Westfalen. Im Jahre des Zu 
sammentritts der Pariser Notabeinversammlung ins Leben gerufen, 
wurde die Zeitschrift zur Verkünderin der Grundsätze dieser Ver 
sammlung sowie des sie ablösenden Synhedrions. Das Doppelideal: 
„Kultur und Humanität“ verwandelte sich in der Praxis in die 
Doppellosung: Assimilation und Emanzipation. Zunächst kamen aller 
dings die Assimilationsbestrebungen in der Zeitschrift nur in ge 
dämpfter Form zur Geltung; nach der Veröffentlichung der Be 
schlüsse der beiden Pariser Parlamente nahm indessen diese Richtung 
immer mehr überhand. Nach 1807 verschwand vom Titelblatt der
	        
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