Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Einleitung 
womöglich nochmals mit Hinterhäusern, die kaum soviel Hofraum 
haben, daß das Tageslicht hineinfallen kann; alle Winkel, bis an das 
Dach hinauf, voll enger Stuben und Kammern, in diesen i o ooo 
Menschen 1 ) zusammengeschichtet, welche sich glücklich schätzen, 
wenn sie ihre Höhlen verlassen und auf ihrer schmutzigen und feuch 
ten Straße Luft schöpfen können ... so haben Sie ungefähr einen 
anschauenden Begriff von der Judengasse. Die Plätze vor den Häusern 
sind des Tages über mit allen männlichen und weiblichen Hantierun 
gen besetzt, denn in den Wohnungen wären diese elenden Menschen 
nicht imstande zu arbeiten“. Jedem Außenstehenden fielen die blassen 
Gesichter und das kränkliche Aussehen der Ghettoinsassen geradezu 
auf, und doch ließ sich der Frankfurter Magistrat durch all ihre 
flehentlichen Bitten nicht dazu bewegen, ihnen, außer in den Ge 
schäftsstunden, in die christlichen Stadtviertel Einlaß zu gewähren 
oder ihnen gar das Recht zuzugestehen, sich auf den städtischen Pro 
menaden zu ergehen. Sonntags wie an allen anderen christlichen 
Feiertagen wurden die Tore des Ghettos überhaupt nicht geöffnet und 
seine Einwohner glichen so nach wie vor Kerkerinsassen (Band VII, 
§ 38). Im Jahre 1786 kam in einem dieser Sklavenhäuser der später 
als Kämpfer für die politische Freiheit berühmt gewordene Ludwig 
Börne (Löb Baruch) zur Welt, dem wir die folgende rückschauende, 
durch sarkastischen Spott gewürzte Schilderung der Lebensbedingun 
gen im Frankfurter Ghetto verdanken: 
„Ehemals wohnten sie in einer eigenen Gasse, und dieser Fleck 
war bestimmt der bevölkertste auf der ganzen Erde . . . Sie erfreuten 
sich der zärtlichsten Sorgfalt ihrer Regierung. Sonntags durften sie ihre 
Gasse nicht verlassen, damit sie von Betrunkenen keine Schläge be 
kämen. Vor dem 2 5. Jahre durften sie nicht heiraten, damit ihre 
Kinder stark und gesund würden. An Feiertagen durften sie erst um 
sechs Uhr abends zum Tore hinausgehen, daß die allzu große Sonnen 
hitze ihnen nicht schade. Die öffentlichen Spaziergänge außerhalb der 
Stadt waren ihnen untersagt, man nötigte sie, ins Feld zu wandern, 
um ihren Sinn für Landwirtschaft zu erwecken. Ging ein Jude über 
die Straße, und ein Christ rief ihm zu: .Mach Mores, Jud’! — so 
1 ) Diese Zahl ist stark übertrieben. Nach der Ansicht des Geschichtsschreibers 
des Frankfurter Ghettos, Kracauer, faßte es auch um diese Zeit kaum über 3ooo 
ständige Einwohner, was der vorgeschriebenen Höchstzahl von 5oo Familien ent 
sprach, denen sich allerdings noch etwa tausend Durchreisende oder sich zeitweilig 
in der Stadt Aufhaltende zugesellt haben mochten. 
20
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.