Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

234 
Der Emanzipations- und Kulturkampf in Deutschland 
So konnte es denn nicht ausbleiben, daß das Kasseler Konsistorium 
ein Rundschreiben nach dem anderen erließ: über Rechte und Pflich 
ten der Rabbiner und „Syndici“, über Synagoge, Schule, Lehrer 
schaft. Das Konsistorium ging dabei in echt napoleonischer Weise zu 
Werke, indem es religiöse Gebräuche kurzerhand durch Dekrete ab 
änderte. Sein Eifer galt insbesondere den in den Zivilstand eingreifen 
den Handlungen: jede Eheschließung und Ehescheidung, der nicht 
die von den zuständigen Zivilbehörden zu vollziehenden Formalitäten 
vorangingen, wurde für ungültig erklärt, die Trauung unter freiem 
Himmel untersagt und mancher herkömmliche Hochzeitsbrauch ab 
geschafft. Daneben führte das Konsistorium nach protestantischem 
Vorbild für Knaben nach Vollendung des dreizehnten, für Mädchen 
nach der des zwölften Jahres die obligatorische Konfirmation ein, 
der eine in der Synagoge abzulegende öffentliche Prüfung im „Kate 
chismus“ vorangehen mußte und die von Ansprachen und Belehrun- 
gen der Rabbiner begleitet zu werden pflegte. Schon diese Neuerung 
allein empfanden die Rechtgläubigen als einen Anschlag auf ihr Ge 
wissen; noch mehr regten sie sich aber über die Verfügungen des 
Konsistoriums bezüglich der Synagogen auf. In dem Bestreben, die 
Gleichförmigkeit der gottesdienstlichen Ordnung zu sichern, unter 
sagte es nämlich das Konsistorium, die gemeinschaftliche Andacht in 
privaten Bethäusern zu verrichten und machte es der gesamten Ein 
wohnerschaft jeder Stadt zur Pflicht, in einer einzigen, amtlich an 
erkannten Synagoge zu beten, in der der Gottesdienst nach einer vom 
Konsistorium vorgeschriebenen Ordnung, unter Weglassung mancher 
Gebete und Zeremonien, abgehalten werden sollte. Als eine Reihe 
von Gemeinden, über diese Verordnung aufgebracht, bei der Regie 
rung gegen die Einengung der Gewissensfreiheit Einspruch erhoben, 
erwirkte Jacobson ein königliches Dekret (5. Juli 1811), das das 
vom Konsistorium erlassene Verbot, den Gottesdienst außerhalb der 
reformierten Synagogen abzuhalten, ausdrücklich bestätigte. In einer 
nicht minder bürokratischen Weise wurde auch die Reform des 
Schulwesens durchgeführt. Nach Vorschrift des Konsistoriums mußte 
in jeder Stadt je eine Schule eröffnet werden, in der ein jüdischer 
Lehrer in Religion und in der biblischen Sprache zu unterweisen 
hatte, während die allgemein bildenden Fächer (der „deutsche Unter 
richt“) einem Christen anvertraut werden sollten. Zugleich wurde der 
Privatunterricht in den altüberkommenen „Chadarim“ verboten. Im
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.