Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 31. Die vorübergehende Emanzipation (Westfalen, Frankfurt, Hamburg) 
David Frankel, ein Lehrer aus Dessau, der die fortschrittliche jü 
dische Zeitschrift „Sulamith“ in deutscher Sprache herausgab). Zum 
Präsidenten geworden, schaltete und waltete Jacobson in der neuen 
Institution als unumschränkter Herr. Er ließ ein Konsistorialsiegel 
anfertigen mit der Inschrift: ,,Königlich Westfälisches Konsistorium 
Mosaischer Religion“ und schuf für sich selbst eine prunkvolle Prä 
sidententracht, einen schwarzen Talar, der auf der Brust mit einer 
goldgestickten Darstellung der Gesetzestafeln geschmückt war. Das 
Kasseler Konsistorium wurde unter der Leitung Jacobsons zu einem 
jüdischen Kultusministerium, das das innere Leben der im Königreich 
wohnhaften Juden 1 ) vom grünen Tisch aus einer Regelung unterzog. 
Für seinen Präsidenten war aber das Konsistorium ein Tempel, in 
dem er sich als Hohepriester gebärdete. Wie aus einer von ihm der 
Regierung überreichten Denkschrift zu ersehen ist, vertrat Jacobson 
nämlich den Standpunkt, daß allein eine tiefgreifende innere Reform 
das jüdische Gemeindeleben sowie die ganze heranwachsende Gene 
ration vor endgültiger Zersetzung bewahren könne. In der deutschen 
Judenheit sah er lediglich zwei einander feindlich gegenüberstehende 
Extreme: auf der einen Seite eine verstockt konservative, sich an 
morsch gewordene Religions- und Lebensformen klammernde Masse, 
auf der anderen ein neues Geschlecht, das unter dem Einfluß zuweilen 
höchst oberflächlicher europäischer Bildung der Religion der Väter 
die Treue aufsagte oder sich auf die Seite der außerhalb des Juden 
tums wie des Christentums stehenden zügellosen und die Aufklärungs 
idee nur in Mißkredit bringenden hohlen Stutzer schlug. In Frank 
reich — meinte Jacobson — sei dagegen die Wiedergeburt der Juden 
endlich auf dem richtigen Wege: während die Revolution, die den 
Juden die Emanzipation beschert und alle Konfessionen gleichgestellt 
habe, bald darauf unter dem Konvent die Religion selbst abschaffte, 
habe Kaiser Napoleon, der Urheber des Pariser Synhedrions, nun dem 
jüdischen Kultus feste Organisationsformen verliehen; dieses franzö 
sische System der Umgestaltung der jüdischen Gemeinschaft sei eben 
dasjenige, das auch im Königreich Westfalen mit bestem Erfolg zur 
Anwendung gebracht werden könne. 
*) Im Jahre 1808 zählte das Königreich Westfalen nahezu i5 000 Juden, doch 
war diese Zahl infolge des unaufhörlichen Zustroms der durch die Emanzipation 
angelockten jüdischen Auswanderer aus anderen deutschen Landen in stetem Wachs 
tum' begriffen. 
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