Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Der Emanzipations- und Kulturkampf in Deutschland 
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und fügte die Bestimmung ein, daß die Entscheidung dieser Frage 
bis auf weiteres vertagt bleibe. 
Am ii. März 1812 setzte endlich der König seine Unterschrift 
unter die Einbürgerungsurkunde, die den Titel: „Edikt betreffend 
die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ 
führte. Der erste Artikel des Edikts erklärte die Juden Preußens, die 
bis dahin das Wohnrecht auf Grund besonderer Privilegien und Kon 
zessionen genossen hatten, zu „Einländern und preußischen Staats 
bürgern“. Alle Beschränkungen hinsichtlich der Freizügigkeit und der 
Berufswahl wurden aufgehoben, ebenso die Sonderbesteuerung und 
die sonstigen Ausnahmegesetze. Den Juden wurde ausdrücklich das. 
Recht zuerkannt, Munizipal- und akademische Ämter zu bekleiden, 
wohingegen der König seine Stellungnahme zu der Frage ihrer 
Zulassung zum Staatsdienst erst „in Folge der Zeit gesetzlich zu 
bestimmen“ verhieß. In bezug nuf die Pflichten, so auch auf die 
Erfüllung der Militärdienstpflicht, wurden die Juden den übrigen 
Staatsbürgern gleichgestellt. Im geschäftlichen Schriftwechsel sollten 
sie sich der deutschen oder irgendeiner anderen „lebenden Sprache“ 
bedienen, unter keinen Umständen aber des Hebräischen oder des 
Jüdisch-Deutschen. Binnen sechs Monaten nach Erlaß des Edikts 
mußte jeder Jude einen Familiennamen annehmen und sich unter die 
sem bei der zuständigen Polizeibehörde eintragen lassen. Ausländi 
schen Juden blieb das Niederlassungsrecht in Preußen nach wie vor 
versagt und sie durften sich dort nur vorübergehend zu Geschäfts 
zwecken aufhalten. Die Regelung des jüdischen „Kirchlichen Zustan 
des“ und des Schulwesens blieb nach dem Schlußartikel des Dekrets 
einer mit maßgebenden Vertretern der Judenheit abzuhaltenden Son 
derkonferenz Vorbehalten. 
Zwanzig Jahre nach der Proklamierung der Emanzipation in 
Frankreich entschloß sich somit Preußen, den in seinem Bereiche 
lebenden Juden, wenn auch mit manchen Vorbehalten, die Gleich 
berechtigung zuzugestehen. Der Stempel der schmählichen Entrech 
tung ward weggewischt. Groß war die Freude der Erlösten, nament 
lich in den höheren Kreisen der jüdischen Gesellschaft, in denen 
man das Brandmal der bürgerlichen Ausgestoßenheit besonders 
schmerzlich empfunden hatte. In diesen Kreisen paarte sich indessen 
das Gefühl der Erkenntlichkeit für die verliehene Freiheit mit dem 
allem Freiheitssinn Hohn sprechenden Drang, möglichst bald jene
	        
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