Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 2. Die Rechtlosigkeit und die Aufklärung in Deutschland 
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sind also meistens auf einen sehr kleinen Detailhandel eingeschränkt, 
bei dem nur die öftere Wiederholung kleiner Gewinne hinreichen 
kann, ein dürftiges Leben zu erhalten; oder sie werden gezwungen, 
ihr Geld, das sie selbst nicht benutzen können, an andere zu ver 
leihen“. 
Dies waren die Grundnormen, in deren Grenzen sich die „Juden 
politik“ in dem damaligen in viele Staaten zersplitterten Deutschland 
bewegte. Am drückendsten waren die geltenden Beschränkungen der 
Freizügigkeit. In jedem der Duodezstaaten lagen an den Grenzpfäh 
len Häscher auf der Lauer, um das gehetzte Wild, den Juden, abzu 
fangen. Auf seiner Reise aus einem deutschen Landesteil in einen an 
deren, mitunter sogar aus einer Stadt in die andere innerhalb der 
Grenzen desselben Staates, mußte der Jude bei der Ankunft am Reise 
ziel einen Zoll erlegen, wie er sonst nur von angetriebenem Vieh er 
hoben wurde. Dieser schmachvolle Leib- oder Geleitzoll („Judenger 
leit“) machte den reisenden Juden an den Toren vieler deutscher 
Städte zur Zielscheibe allgemeinen Spottes. Frei von dieser Steuer 
waren allein die bevorrechteten „Schutzjuden“, auch „vergeleitete Ju 
den“ genannt, soweit sie auf ihren Reisen das Hoheitsgebiet des sie 
beschützenden Staates nicht überschritten; an der Grenze des Herr 
schaftsbereiches eines fremden Herzogs oder Fürsten angelangt, muß 
ten jedoch auch sie sich zur Entrichtung des Leibzolls bequemen. Als 
im Jahre 1776 der bereits großen Schriftstellerruhm genießende Mo 
ses Mendelssohn eine Reise nach der sächsischen Hauptstadt Dresden 
unternahm, war er gezwungen, am Stadttor den Leibzoll in der Höhe 
zu erlegen, die, wie der beleidigte WeltweJse von Berlin sich später 
mit bitterer Ironie selbst ausdrückte, für einen „polnischen Ochsen“ 
festgesetzt war. 
Am hartnäckigsten widerstand dem Wandel der Zeiten die Ghetto 
ordnung in der Reichsstadt Frankfurt am Main, die eine der größ 
ten jüdischen Gemeinden Deutschlands beherbergte. Der die Stadt 
regierenden bürgerlichen Oligarchie ging es gleichsam darum, die Be 
zeichnung „Neu-Ägypten“, die sich für die dortige „Judengasse“ ein 
gebürgert hatte, voll gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ein Rei 
sender, der 1795 in Frankfurt weilte, schildert das jüdische Wohn 
viertel in folgender Weise: „Stellen Sie sich eine lange Straße vor, 
welche . . . von Häusern eingeschlossen ist, die fünf bis sechs Etagen 
hoch sind. Denken Sie sich diese Häuser mit Hinterhäusern und diese
	        
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