Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 5. Die Vertreibung aus Frankreich (1306) 
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geforderten Summe zufrieden. Das bei der Enteignung der Juden zur 
Anwendung gekommene räuberische Verfahren stellte übrigens nur 
einen Auftakt zu jenem Beutezug dar, den der ehrlose König und die 
seiner würdigen Agenten einige Jahre später gegen den Templerorden 
eröffneten. Trotz all seiner Voreingenommenheit gegen die Juden war 
das französische Volk weit davon entfernt, die von dem König er 
griffenen grausamen Maßnahmen zu billigen. In französischen Volks 
liedern hieß es, daß „die Juden redlicher gehandelt hätten als nun die 
Christen“, und daß das Land durch ihre Vertreibung verarmt wäre. 
Neun Jahre später sah sich denn auch der französische König ge 
nötigt, „dem Notschrei des Volkes“ Gehör zu schenken und die Juden 
ins Land zurückzuberufen; doch konnten sie sich von dem ihnen im 
Jahre i3o6 versetzten Schlage nicht wieder erholen 1 ). 
Die Verbannten aus Nordfrankreich begaben sich zunächst in die 
nahegelegenen Provinzen Lothringen, Burgund und Dauphine, deren 
Lehensherren von der französischen Krone weniger abhängig waren. 
Die im Süden Beheimateten zogen in jene Teile der Provence, die da 
mals unter der Gewalt der Könige von Mallorca aus dem aragonischen 
Hause standen (die Stadt Perpignan u. a.). Diese wie jene gedachten 
bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in die Heimat zurückzu 
kehren. Es gab indessen auch solche, die alle Hoffnungen auf eine 
Heimkehr fahren ließen und nach Spanien, insbesondere in das nahe- 
D Es verdient Erwähnung, daß die Juden in Frankreich nicht die einzige 
Bevölkerungsgruppe waren, die von einem so schweren Schicksal betroffen wurde. 
Außer den Templern, die Philipp IV. aus Habsucht der Vernichtung preisgab 
(dieser Ritterorden zählte unter seinen Mitgliedern nicht wenige Bankiers, die Kö 
nigen und Päpsten Geld vorschossen), gab es in Frankreich noch eine andere Be 
völkerungsschicht, die in der Wirtschaft eine ähnliche Rolle wie die Juden spielte 
und der auch das gleiche Los zuteil wurde. Es waren dies die unter dem Namen 
,,Lombarden“ bekannten italienischen Kaufleute und Geldwechsler, die auch Geld 
auf Zinsen ausliehen. Im XIII. Jahrhundert durften die Lombarden ihrem Be 
ruf unter der Bedingung nachgehen, daß ein bestimmter Prozentsatz von jedem 
ausgeliehenen Betrag an den königlichen Schatz abgeführt wurde. Von Zeit zu 
Zeit hatten auch sie unter plötzlichen Expropriationen zu leiden. So wurden im 
Jahre 1277 alle in Frankreich wohnhaften Lombarden „in persona et rebus“ ver 
haftet; das gleiche wiederholte sich im Jahre 1291 unter Philipp dem Schönen. 
Im Jahre i3ii, fünf Jahre nach der Vertreibung der Juden, erließ der König 
den Befehl, alle Lombarden auszuweisen, da sie „an der Bevölkerung durch ihre 
Wucherei zehren und den Kurs unserer Münze herunterdrücken“. Die Schuldner 
der Verbannten waren verpflichtet, die geschuldeten Zinsen an die königlichen 
Kommissare zu entrichten. Später wurde auch den Lombarden die Rückkehr nach 
Frankreich von neuem gestattet.
	        
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