Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 5. Die Vertreibung aus Frankreich (1306) 
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seigneurialen Herrschaftsbezirken, wo die königlichen Juden nicht 
selten vor der Bedrückung Zuflucht suchten. Die Inhaftierung der 
Juden ging überall gleichzeitig vor sich, am 22. Juli oder 10 Ab, an 
dem dem nationalen Trauerfeste folgenden Tage. Den Verhafteten 
wurde kundgetan, daß sie binnen Monatsfrist unter Zurücklassung 
ihres gesamten Vermögens aus dem Lande ziehen müßten; nur ihre 
Alltagskleider und ein geringes Zehrgeld durften sie mit sich nehmen. 
So sahen sich viele Tausende von Juden (ihre genaue Zahl ist in den 
Quellen nicht angegeben) mit einem Schlage sowohl der Heimat wie 
des Besitzes beraubt. Nach Ablauf der festgesetzten Frist verließen sie 
die Städte Frankreichs, wo sich schon zur Zeit des antiken Rom ihre 
Vorfahren niedergelassen hatten. Das gesamte bewegliche und unbe 
wegliche Gut der Verbannten fiel dem König zu und wurde von ihm 
mit hohem Vorteil versteigert. Nur die zum Christentum Übertre 
tenden blieben von der Verbannung verschont; indessen mochte eine 
solche Vermehrung der Gemeinde Christi, durch die der König einen 
Teil seiner Beute einbüßen mußte, ihn wohl kaum besonders erfreut 
haben. Übrigens war die Zahl der Überläufer sehr gering, abgesehen 
von Toulouse, wo viele, um dem Ruin zu entgehen, zum Scheine die 
Taufe annahmen. 
„Was nach Eröffnung des königlichen Beutezugs im Bezirk von 
Toulouse vor sich ging — sagt ein moderner französischer Geschichts 
schreiber (Langlois) — scheint sich auch an anderen Orten abgespielt 
zu haben 1 ). Alles bewegliche und unbewegliche Gut der Juden wurde 
eiligst mit Beschlag belegt und öffentlich versteigert. Manchen ge 
lang es, das Kostbarste zu verbergen; darauf begann man, nach den 
vergrabenen Schätzen zu suchen, wobei den Angebern der fünfte Teil 
der Funde in Aussicht gestellt wurde. Die Einnehmer sammelten das 
einkassierte Geld und schickten die goldenen und silbernen Gegen 
stände: Becher, Gürtel, Ringe, zur Münze, mit Ausnahme der schön 
sten Stücke, die sie für den König zurückbehielten. Die Versteigerung 
der Immobilien wurde in den meisten Bezirken auf mehrere Jahre 
ausgedehnt, um das eingezogene Gut nicht zu verschleudern, wiewohl 
die ,Kommissare in jüdischen Angelegenheiten 4 von Paris aus ständig 
D Nach Toulouse wurde eine besondere Requisitionskommission entsandt, an 
deren Spitze der berüchtigte Guillaume de Nogaret, der Intimus des Königs stand, 
der auch manch andere ruchlose Schandtat, so den Überfall auf den Papst Boni- 
fazius und die Ausplünderung des Templerordens auf Philipps Geheiß zur Aus 
führung brachte.
	        
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