Das französische Zentrum und die englische Kolonie
Auch die jüdischen Kreditgeschäfte wurden von Philipp IV. aufs
schärfste überwacht, damit ihm der entsprechende Gewinnanteil nicht
entschlüpfe. Im Jahre 1291 erging an den Seneschall von Caracas
sonne, einem bedeutenden jüdischen Zentrum im Süden Frankreichs,
der königliche Befehl, über alle von Juden gewährten Zinsdarlehen Er
kundigungen einzuziehen und durch Prüfung der Schuldbriefe sowie
durch Ausfragen der Schuldner die Höhe des jeweils geschuldeten Ka
pitals sowie die der fälligen Zinsen festzustellen, um auf Grund dieser
Feststellungen den Schuldnern die Zinsen von Staats wegen zu er
lassen. Ein Jahr später fiel es jedoch dem König ein, daß auch er
an diesem Geschäft verdienen müsse, und so befahl er, alle geschulde
ten Kapitalien, die gegen wucherische Zinsen ausgeliehen worden
waren, zugunsten des königlichen Schatzes einzutreiben. Im Jahre
1295 wurden die reichsten Juden der Landvogtei von Beaucaire
festgenommen, nach Paris gebracht und so lange gefangengehalten,
bis sie die Gesamtsumme des von ihnen ausgeliehenen Geldes genau
angegeben und den erzielten „Wuchergewinn“ (usuraria) dem König
abgetreten hatten. So entpuppte sich der königliche Beschützer vor
wucherischer Ausbeutung selbst als ein Wucherer schlimmster Art
Alle diese Teilkonfiskationen waren aber nur ein Vorspiel zu der
bald erfolgenden allgemeinen Enteignung der Juden in Frankreich.
Es war von vornherein klar, daß Philipp der Schöne, der in den
Fußstapfen des Philipp August wandelte, schließlich zu dem gleichen
Endresultat gelangen werde: zur allgemeinen Ausplünderung seiner
jüdischen Untertanen und zu deren Vertreibung aus dem Lande. Dies
geschah denn auch in der Tat im Jahre i3o6. Der königliche Schatz
war leer, man benötigte dringend enorme Geldsummen, und so ent
schloß sich der König, gleich dem habgierigen Bauer in der Fabel,
das Huhn, das goldene Eier legte, zu schlachten: die Juden des Landes
zu verweisen und ihre R.eichtümer an sich zu bringen. Zur Durch
führung dieses Vorhabens wurden allerorten besondere Kommissare
eingesetzt Auf ihren Befehl wurden zunächst alle Vertreter der
jüdischen Gemeinden in fast allen Gegenden Frankreichs verhaftet,
während das gesamte Eigentum der Juden und ihre Handelsbücher
beschlagnahmt wurden. In solcher Weise verfuhr man nicht nur in
den Kronländern, zu denen jetzt viele der ehemaligen großen Graf
schaften gehörten (außer Isle-de-France auch die Champagne, die
Normandie, Anjou, Languedoc u. a.), sondern auch in den meisten