Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 4. Religiöse Disputationen und Verbrennung des Talmud 
sem Anblick stößt seine Gattin den herzzerreißenden Schrei aus: „Ich 
will dir folgen, mein Freund!“ — und auch die schwangere Frau ver 
schwindet in den Flammen. In Todesqualen ruft der jüngere Sohn 
dem älteren zu: „Bruder, ich brenne!“, der ältere aber erwidert: „Du 
gehest ins Eden ein“. Als die schöne Schwiegertochter, das Weib des 
älteren Sohnes, an die Reihe kam, versuchten die Henker, sie zur 
Taufe zu bewegen und stellten ihr einen schmucken Kavalier in Aus 
sicht, sie aber rief voll Empörung: „Martert mich, soviel ihr wollt, 
ich lasse nicht von meinem Gotte!“ Einer der Gemeindenotabein, Sim- 
son, legte besonderen Heldenmut an den Tag und sprach bis zum letz 
ten Atemzug seinen Genossen Mut zu. Baruch Tob-Elem (Bendit Bon 
fils) rief dem ihn folternden Schergen zu: „Schüre das Feuer, du 
Bösewicht!“ Nicht ganz seiner Herr war nur Simon, der Sofer 
(Schreiber) und Kantor, der „so herrlich den Gottesdienst in der Syna 
goge zu verrichten pflegte“; aber auch er weinte, wie er sagte, nicht 
um seiner selbst, sondern „um der Kinder willen“. Als die „Prediger“ 
(Dominikaner) an Isaak Kohen herantraten und ihm zur Taufe zu 
redeten, sprach der Märtyrer: „Ich werde sterben um des Namens 
Gottes willen; als Priester, der ich bin, werde ich ihm meinen eigenen 
Leib zum Opfer darbringen“. Auf dem Scheiterhaufen fand auch der 
treffliche Chirurg Chaim aus Brienon den Tod, der „manch Blindem 
das Augenlicht wiedergab“. 
Die Stadt Troyes, in der die grauenhafte Untat vollbracht wurde, 
war in der Grafschaft Champagne gelegen, die kurz vorher infolge 
der von der Gräfin dieser Provinz mit dem französischen König 
Philipp dem Schönen eingegangenen Ehe den Kronlanden angegliedert 
worden war. Als Philipp (in dessen Regierungszeit das Ereignis fällt) 
von dem Wüten der Inquisition gegen die reichsten Mitglieder der jü 
dischen Gemeinde Kunde erhielt, erblickte er darin einen Anschlag 
auf seine Hoheitsrechte sowie eine Beeinträchtigung seiner Einkünfte. 
So erließ er denn drei Wochen nach der Exekution von Troyes einen 
Befehl, demzufolge die mit der Inquisition beauftragten Mönche Ju 
den nur dann aburteilen durften, wenn der königliche Seneschall 
zuvor den rein religiösen Charakter des betreffenden Verbrechens 
festgestellt hatte. 
Zwei Jahre nach der Tragödie von Troyes zeitigte der Volksaber 
glaube auch in Paris selbst eine grauenerregende Bluttat. Im Jahre 
1290 wurde hier wegen angeblicher Durchstechung einer Hostie, des
	        
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