Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 64. Polen und Litauen unter den Jagellonen 
rück, der die Juden dazu verpflichtete, „eine Kleidung zu tragen, 
durch die sie von den Christen unterschieden werden könnten“. 
Indessen sollte der Triumph des Klerikalismus nur von kurzer 
Dauer sein. Durch das ihm abgezwungene Zugeständnis konnte sich 
der König in keiner Weise gebunden fühlen. Die den Anforderungen 
des Lebens ins Gesicht schlagenden Gesetze blieben toter Buchstabe. 
Gerade um jene Zeit hatte die jüdische Bevölkerung Polens und Li 
tauens infolge der Masseneinwanderung aus Deutschland stark zuge 
nommen. Das wirtschaftliche Leben kam durch die Zufuhr frischer 
Kräfte immer mehr in Schwung. Die Juden entfalteten in ihrer neuen 
Heimat eine lebhafte Tätigkeit, namentlich auf dem Gebiete der Zoll- 
und Gutspacht. Viele aus dieser Zeit stammende Urkunden zeugen 
von der Bereitwilligkeit, mit der Kasimir der Jagellone seinen jüdi 
schen Untertanen in den litauischen Stammlanden besiedelte wie un- 
besiedelte Güter in Pacht gab, indem er ihnen zugleich das Recht 
überließ, mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen: Getreide, Korn 
branntwein und Milchprodukten freien Handel zu treiben. Wohl 
habendere Leute nahmen die an der polnisch-litauischen und an den 
anderen Binnengrenzen erhobenen Zölle in Pacht. Diese Pächter 
(„Zöllner“) brachten dem königlichen Schatze ungeheuren Gewinn 
ein und versahen ungeachtet der kanonischen Verbote faktisch die 
Obliegenheiten von Finanzbeamten. Die Großunternehmer unter den 
Zollpächtern hatten eine privilegierte Stellung inne, genossen volle 
Steuerfreiheit und standen unter der unmittelbaren Protektion des 
Königs. So entstand allmählich eine Lage, die an die besten Zeiten 
des jüdischen Spanien erinnerte. 
Dies alles versetzte die Klerikalen in helle Wut und verschärfte 
den wirtschaftlichen Neid der Bürger und der Landwirte. So wur 
den denn unter Kasimir dem Jagellonen organisierte und im Zusam 
menhang mit den außerordentlichen Zeitereignissen stehende Über 
fälle auf die jüdische Landesbevölkerung eine immer häufigere Er 
scheinung. Im Jahre i464 wurden in Polen auf einen vom Papst 
Pius II. ergangenen Aufruf hin Scharen von Freiwilligen für den 
ßeren Prärogative erfreuen dürfen als die Diener des Herrn Christus, und Knechte 
nicht besser als die Söhne gestellt sein können“ . . . Indessen ist dies zweifel 
los eine spätere Einschaltung in den Text, der ursprünglich mit den Worten 
begann: „Für die Juden soll nach wie vor die Satzung von Warta in Geltung 
bleiben“ („Judaei serventur juxta Statuta Vartensia". S. „Jus Polonicum“, ed. 
Bandtkie, p. 289 ss.). 
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