Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das französische Zentrum und die englische Kolonie 
Rabbiner zu Gegenerklärungen auf. Eine besondere Kommission hatte 
den Ankläger Donin sowie die jüdischen Gelehrten zu vernehmen. Von 
jüdischer Seite waren vor der Kommission R. Jechiel aus Paris, R. 
Moses aus Goucy und noch andere Rabbiner erschienen. Die öffent 
liche Disputation fand in Paris am 12. Juni des Jahres 12/io im Bei 
sein der höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger statt. Die 
aus dem Pariser Erzbischof Guillaume d’Auvergne, dem Kanzler der 
Pariser Universität Odon und einem Dominikanermönch, einem Mit 
glied der „heiligen Inquisition“, zusammengesetzte Prüfungskommis 
sion legte eine ausführliche Anklageschrift gegen den Talmud vor, die 
mit Hilfe des Denunzianten Donin ausgearbeitet und in 35 Punkte zu 
sammengefaßt war. Die Anklage lief in ihren Hauptpunkten darauf 
hinaus, daß im Talmud Schmähungen gegen Jesus Christus enthalten 
seien, wie etwa die ßehauptung, daß er ein außerehelicher Sohn 
Marias und eines gewissen Ren Sotada gewesen und wegen seines Ab 
falles vom Judentum zu ewigen Höllenqualen verdammt sei; ferner, 
daß sich in dem fraglichen Werke gehässige Ausfälle gegen die Chri 
sten fänden: so werde darin beispielsweise gestattet, die „Gojim“ zu 
töten und zu betrügen, ihre Götzen- oder Heiligenbilder zu verhöhnen 
und sie in den Gebeten zu verfluchen; auch sonst strotze angeblich 
der Talmud von gotteslästerlichen und unsittlichen Aussprüchen so 
wie von allerlei Unsinn und Grotesken. 
Alle diese Anklagen gründeten sich auf Zitate aus dem haggadi- 
schen Teil des Talmud, in dem sich neben zahlreichen Legenden und 
Sinnsprüchen von edelster Gesinnung auch Spuren des Volksaber 
glaubens und der Feindseligkeit gegenüber den andersgläubigen Pei 
nigern erhalten haben. Ein Rationalist aus der Schule des Maimonides 
hätte solchen Vorwürfen von vornherein mit der Erklärung begegnet, 
daß die jüdische Religion für das freie Schrifttum der Haggada eben 
sowenig verantwortlich gemacht werden könne, wie das Christentum 
für alle Schriften der Kirchenväter und für die Lebensbeschreibungen 
der Heiligen, die an Aberglauben und religiöser Intoleranz der taU 
mudischen Haggada keineswegs nachstanden; der Pariser Rabbiner 
Jechiel aber und seine Genossen aus der Tossafistenschule, die die 
gesamte Legendenliteratur kritiklos hinnahmen, sahen sich durch die 
vorgebrachten Anschuldigungen in eine schwierige Lage versetzt Aus 
seiner Verlegenheit half sich nun R. Jechiel mit Müh und Not da 
durch heraus, daß er einige der inkriminierten Wendungen als nicht
	        
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