Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 60. Süditalien. Die Vertreibung aus Sizilien 
ren und traten auch im Binnenhandel nicht selten als Großkauf 
leute auf. An manchen Orten (so in Syrakus) waren es die jüdischen 
Gemeinden selbst, die ihren Mitgliedern das Ausleihen von Geld gegen 
Zinsen ausdrücklich untersagten. Die Insel beherbergte nicht weni 
ger als dreißig jüdische Gemeinden (nach anderen Angaben sogar 
zweiundfünfzig), und die Gesamtzahl der hier lebenden Juden belief 
sich gegen Ende des XV. Jahrhunderts auf etwa hunderttausend. Die 
sich selbst verwaltenden Gemeinden (Universita, Judeca, Kahal) besaßen 
ein allen gemeinsames Statut, das wohl auf einem Gemeindevertreter 
tag ausgearbeitet worden ist. In Palermo, Messina, Syrakus und in 
anderen bedeutenderen Städten war der jüdische Gemeinderat dem 
Stadtrate ebenbürtig und ihre gegenseitigen Beziehungen pflegten 
durch besondere Vereinbarungen geregelt zu werden. Der Gemeinde 
rat setzte sich aus folgenden Amtspersonen zusammen: den „Häup 
tern“ oder Vorstandsmitgliedern (proti, das hebräische „Roschim“), 
den „Erwählten“ (electi, „Berurim“), den Ältesten (majoranti), Re 
visoren und Steuereinnehmern. Dem Rate stand ein Gerichtskollegium 
zur Seite, das sich aus Rabbinern und „Dajanim“ zusammensetzte. 
Zu Beginn des XV. Jahrhunderts riefen die aragonischen Herrscher 
in Palermo auch noch das Amt eines Hauptdajan oder offiziellen 
Rabbiners ins Leben, der als Vermittler zwischen Gemeinden und Re 
gierung fungieren sollte; die Juden erblickten jedoch in dieser Neue 
rung eine Schmälerung ihrer Autonomie, und nach langen Bemühun 
gen gelang es ihnen, ebenso wie um die gleiche Zeit in Deutschland 
(oben, § 48), sich das offizielle Rabbinat vom Halse zu schaffen. 
In den sechziger Jahren des XV. Jahrhunderts trat das Bestreben zu 
tage, die Gemeinden zu einem Verband mit einem ständigen Zentral 
organ in der Form eines „jüdischen Parlaments“ zusammenzuschlie 
ßen sowie eine Hochschule für die jüdische Jugend nach dem Vor 
bild der damaligen christlichen Universitäten zu gründen. Der eine 
wie der andere Plan fand bei der Regierung vollen Anklang, doch 
werden sie wohl kaum zur Ausführung gekommen sein, da gar bald 
die verhängnisvolle Regierungszeit Ferdinands des Katholischen an 
brach. Unter Ferdinand war das jüdische Parlament nur ein einziges 
Mal, im Jahre 1489, zusammengetreten, als die Regierung große 
Geldmittel für den Krieg gegen Granada benötigte. Die Abgeordneten, 
je zwei aus jeder Gemeinde, versammelten sich in Palermo, be 
sprachen sich über die laufenden Angelegenheiten und überreichten
	        
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