Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Italien zur Zeit der Frührenaissance 
von den Schutz der jüdischen Bevölkerung bezweckenden Verordnun 
gen, die die Unzulässigkeit der Zwangstaufen aufs eindringlichste ein 
schärften, doch brachte er nicht den Mut auf, den bereits Getauften 
die Rückkehr zum Judentum zu gestatten. Als der Bischof einer der 
Diözesen gegen die vom Christentum wieder abgefallenen Konvertiten 
den Arm der weltlichen Gewalt (brachium saeculare) anrief, glaubte 
Martin seinen Beistand nicht vorenthalten zu können. Einerseits dem 
Drucke von seiten der katholischen Geistlichkeit ausgesetzt, anderer 
seits von der Anziehungskraft des für jede Vergünstigung gezahlten 
jüdischen Geldes beeinflußt, fielen eben die Entschlüsse der Regie 
rung, wie dies aus den von ihr erlassenen Dekreten zu ersehen ist, 
bald nach der einen, bald nach der anderen Seite. So machte z. B. 
König Alfons V. im Jahre i4s8 den sizilianischen Juden zur Pflicht, 
die Missionspredigten des Mönches Matteo von Girgenti anzuhören, 
um schon zwei Jahre später, als die Juden durch ihre Abordnung den 
König darum angingen, ihnen diese Komödie, die nicht selten in eine 
Tragödie ausklang, zu erlassen, seinen Befehl, allerdings nicht ohne 
Entgelt, wieder rückgängig zu machen. Die aragonischen Gebieter 
hätten ohne die bei den Juden erhobenen hohen Steuern, wie die 
„Gabella“ (die bei Familienzuwachs, Eheschließung sowie bei Ab 
schluß von Handelsgeschäften gezahlten Abgaben), die „Gesia“ 
(Kopfsteuer) u. dgl. m., ihre Herrschaft über die Insel auch wohl 
kaum aufrechterhalten können. Darum ist es nur zu verständlich, daß 
Alfons die Juden Siziliens mit aller Kraft an die Insel fesseln und 
trotz ihrer großen Zahl auf keinen einzigen von ihnen verzichten 
wollte: als im Jahre x455 eine Gruppe von Juden aus Palermo, Mes 
sina und Catania Anstalten traf, nach Jerusalem auszuwandern, wurde 
sie angehalten und wegen des Versuches, dem Staate Geld zu ent 
ziehen, d. h. die königlichen Einkünfte zu verringern, streng zur 
Verantwortung gezogen. 
Ungeachtet all dieser mittelalterlichen Gepflogenheiten war die 
Lage der sizilianischen Juden unvergleichlich besser als die ihrer Brü 
der in den anderen Ländern Westeuropas. Sie waren in ihrer wirt 
schaftlichen Tätigkeit nach wie vor nicht auf einzelne festumrissene 
Erwerbszweige, geschweige denn ausschließlich auf den Geldhandel 
beschränkt, sondern übten hier die verschiedensten Handwerke aus, 
betätigten sich in der Landwirtschaft, namentlich im Gartenbau und 
in der Seidenzucht, befaßten sich mit der Ein- und Ausfuhr von Wa
	        
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