Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 59. Die Gemeinden Oberitaliens. Simon Tridentinus 
faßten sich die Juden in Venedig nicht nur mit dem Kreditgeschäft, 
sondern auch mit dem Warenhandel und namentlich mit dem Waren 
export. Für die ihnen eingeräumte Handelsfreiheit mußten sie nach 
einem im Jahre 1290 vom Senat erlassenen Dekret einen Spezialzoll 
in Höhe von 5 Prozent des Wertes aller von ihnen ein- und ausge 
führten Waren entrichten. Je zahlreicher jedoch die jüdische Bevöl 
kerung im Herrschaftsbereiche der venezianischen Republik wurde, 
desto mehr bemächtigte sich der christlichen Kaufleute die Angst vor 
der jüdischen Konkurrenz und sie suchten mit allen Mitteln, die Ju 
den ausschließlich auf den Geldhandel zu beschränken. Das Ausleihen 
von Geld gegen Zinsen galt in Italien im großen Ganzen keineswegs 
als ein verwerfliches Handwerk: jede größere Handelsstadt hatte Kre 
ditkassen oder „Banken“ aufzuweisen, deren Inhaber durchweg Chri 
sten waren, die unter dem Namen „Lombarden“ auch in den anderen 
europäischen Ländern von jeher das Kreditgeschäft betrieben. In 
dessen war das Bedürfnis nach Handels- und Privatkredit um diese 
Zeit so groß, daß auch den jüdischen „Banken“ noch ein weites Be 
tätigungsfeld offen stand. Des kanonischen Zinsverbotes eingedenk, 
scheute sich ein gewisser Teil des christlichen Kleinbürgertums, in 
aller Offenheit mit Geld Handel zu treiben oder die Dienste 
christlicher Wucherer in Anspruch zu nehmen, und zog es daher vor, 
solche Geschäfte mit Juden abzuschließen; zuweilen waren infolge 
dessen die jüdischen Kreditkassen nichts als ein Aushängeschild für 
von christlichen Kapitalisten betriebene Bankgeschäfte. Die Regie 
rung der Gesamtrepublik sowie die Magistrate der einzelnen Städte 
griffen in diese Bankoperationen regelnd ein und setzten vor allem 
die Höchstgrenze des zulässigen Zinsfußes fest; der Zinssatz war in 
der Regel bei Darlehen gegen Pfandsicherheit niedriger als bei gegen 
Wechsel bewilligtem Kredit. Die Juden durften übrigens ihr Geld 
zumeist nur gegen Unterpfand ausleihen. 
Die von den Juden in der venezianischen Republik entfaltete 
finanzielle Wirksamkeit stand indessen in schreiendem Mißverhältnis 
zu ihrer menschenunwürdigen Rechtslage. Die von Krämergeist er 
füllte Republik betrachtete nämlich den konkurrenzfähigen fremden 
Handelsstand stets mit scheelen Augen und ließ daher die Juden in 
dem Zustand von gleichsam auf der Durchreise begriffenen Koloni 
sten verharren, die man nur so lange duldet, als man sie auszunützen 
vermag. Die vom Senat von Venedig mit den jüdischen Gemeinden
	        
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