Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 57. Die Vertreibung aus Portugal (1U98) 
Bischof Coutinho —, wie viele an den Haaren zum Taufbecken ge 
zerrt wurden, wie ein vom Kummer überwältigter Vater, neben sei 
nem Sohne einherschreitend, laut seiner Entrüstung Ausdruck gab 
und Gott als Zeugen anrief, daß sein Kind zusammen mit ihm im 
Glauben Moses’ sterben wolle. Und noch mancher anderen unsagbaren 
Gewalttaten mußte ich Zeuge sein“. Viele Eltern gaben ihren Kin 
dern und sich selbst den Tod, indem sie sich zusammen mit ihnen 
ins Meer stürzten; es gab aber auch solche, die, um ihre getauften 
Kinder nicht schutzlos den Feinden auszuliefern, selbst zum Christen 
tum übertraten. 
Verfolgungen von seiten der Inquisition befürchtend, beeilten 
sich diese neuen „Anussim“, eine Deputation nach Rom an den 
Papst Alexander VI. zu entsenden, um diesen zu bewegen, den por 
tugiesischen König und die im Lande tätigen Inquisitoren von Re 
pressalien gegen die Neubekehrten zurückzuhalten. Die päpstliche 
Kurie, die wohl durch reiche Gaben günstig gestimmt worden war, 
zögerte nicht, der Bitte stattzugeben. Hierauf erklärte sich König 
Manuel, der die Juden, unter welcher Maske es auch sei, im Lande 
behalten wollte, zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Durch das 
Dekret vom 3o. Mai i497 ta ^ er kund, daß die Neuchristen zwanzig 
Jahre lang von der Inquisitionskontrolle unbehelligt bleiben sollten, 
daß sie binnen dieser Zeit wegen geheimer Befolgung jüdischer Bräu 
che nicht gerichtlich verfolgt werden dürften und daß auch nach Ab 
lauf dieser Frist die der Ketzerei Überführten jedenfalls nicht wie in 
Spanien mit der Einziehung des gesamten Vermögens zugunsten des 
Staatsschatzes bestraft werden würden. Den neuen Gefangenen der 
Kirche war somit die Möglichkeit gegeben, sich im Laufe der näch 
sten Jahre, wenn auch nur insgeheim, zum Judentum zu bekennen. 
Durch diese den Neubekehrten gewährten Vorrechte hoffte der Kö 
nig unter den sich zur Ausreise rüstenden jüdischen Massen für die 
Kirche einen reichen Fang machen zu können. 
Im Herbst i497 £P n £ ^ en ™ Judentum verbliebenen Emi 
granten eingeräumte Gnadenfrist zu Ende. Im Hafen von Lissabon 
sammelten sich etwa zwanzigtausend Juden an, um das ihnen zur Falle 
gewordene zeitweilige Asyl schleunigst zu verlassen. Indessen wurden 
sie hier so lange zurückgehalten, bis auch der letzte Termin (Ok 
tober) verstrichen war, worauf man ihnen erklärte, daß sie wegen 
Überschreitung der ihnen bewilligten Aufenthaltsfrist der Ver- 
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