Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Der Zusammenbruch des jüdischen Zentrums in Spanien 
den willen seine dynastischen Pläne fallen lassen sollen. So wurde 
denn der Ehevertrag zwischen Manjuel und der spanischen Infantin 
unterzeichnet und damit zugleich das Los der portugiesischen Juden 
endgültig besiegelt. Am 2 5. Dezember 1496 erging ein Edikt, in dem 
allen Juden, sowohl den im Lande ansässigen wie auch den aus Spa 
nien zugewanderten, unter Androhung der Vermögenseinziehung und 
der Todesstrafe befohlen wurde, binnen zehn Monaten, bis Ende Ok 
tober 1497, Portugal zu verlassen. Das Edikt rückte gleich dem 
jenigen Ferdinands des Katholischen ausschließlich das religiöse Motiv 
der Vertreibung in den Vordergrund: „Die Juden — heißt es darin 
— beharren bei ihrem Haß gegen den heiligen katholischen Glau 
ben, begehen Verbrechen gegen die Religion und bringen die Christen 
von dem Wege der Wahrheit ab“. 
Nicht ohne besondere Absicht hatte König Manuel den Ausgewie 
senen eine so lange Frist für den Abzug eingeräumt: er hoffte näm 
lich, daß es ihm während dieser Zeit gelingen würde, die in eine 
höchst prekäre Lage versetzten Juden zur Taufe zu bewegen und so 
diese betriebsame und nützliche Bevölkerungsschicht dem Staate zu 
erhalten. Als er sich jedoch in seiner Hoffnung auf einen freiwilli 
gen Übertritt der Juden zum Christentum getäuscht sah, verfiel er 
auf den grauenvollen Gedanken, gleich seinem Vorgänger wenigstens 
die Kinder der Emigranten gewaltsam taufen zu lassen. Vergeblich 
suchten viele Mitglieder des Staatsrates und insbesondere der Bischof 
Coutinho, der in der Schar der schwarzen Kleriker gleichsam der 
weiße Rabe war, den König von der Gewalttat zurückzuhalten; den 
ehrlich Warnenden standen nicht wenige Hofschranzen gegenüber 
(darunter, wie erzählt wird, auch der getaufte Leibarzt Antonio, der 
früher den Namen Levi ben Schemtob getragen hatte), die dem Kö 
nig durch ihre Schmeicheleien den Rücken stärkten. So befahl er 
denn, daß allen jüdischen Eltern ihre Kinder beiderlei Geschlechts 
im Alter von vier bis zwanzig Jahren entrissen und in den Ostertagen 
getauft werden sollten (1497). Als die Juden in Lissabon, Evora und 
anderen Orten davon Kenntnis erhielten, rüsteten sie sich schleunigst 
zur Abreise, um noch vor Ostern Portugal verlassen zu können; der 
König kam ihnen jedoch zuvor, und das geplante Verbrechen wurde 
schon am 19. März zur Ausführung gebracht. Es spielten sich herz 
zerreißende Szenen ab. Man riß die Kinder aus den Armen ihrer El 
tern und schleppte sie zum Taufbecken. „Ich sah — so erzählt der 
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