Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Der Zusammenbruch des jüdischen Zentrums in Spanien 
die Weiterreise zur Verfügung. Bald schifften sich in Lissabon und 
Oporto die ersten Gruppen der Emigranten ein. Unterwegs hatten sie 
die furchtbarsten Leiden zu ertragen. Aus Furcht vor Einschleppung 
der Epidemie verwehrte man ihnen, in den nahegelegenen Häfen ans 
Land zu gehen, so daß die Unglücklichen monatelang auf dem Meere 
herumirren mußten, der Willkür der Schiffsherren und Kapitäne 
ausgeliefert, die sie wie Sklaven behandelten, ihnen ihre letzte Habe 
und zuweilen sogar ihre Weiber und Töchter Wegnahmen. Als eines 
dieser umherirrenden Schiffe einst bei Malaga an die den Juden ver 
botene spanische Küste verschlagen wurde, schickte der Ortsbischof 
tagein, tagaus katholische Priester an Bord, um den von Land zu 
Land Gehetzten das Evangelium zu predigen. Nachdem sich jedoch 
der Bischof von der Fruchtlosigkeit der Überredungsversuche über 
zeugt hatte, machte er dem Kapitän den Vorschlag, seinen Fahrgästen 
jegliche Nahrung zu entziehen, um sie durch Aushungerung nach 
giebiger zu machen. Fünf Tage lang waren die Unglücklichen den 
Hungerqualen ausgesetzt, und die ganze Zeit saßen ihnen die Pfaffen 
mit den Mahnworten auf dem Nacken: „Wer am Leben bleiben will, 
möge sich taufen lassen“. Etwa hundert von den Gemarterten gaben 
sich schließlich besiegt und traten zum Christentum über, doch fan 
den sich nicht weniger als fünfzig Heldenmütige, die der von der 
Kirche dargebotenen „geistigen Nahrung“ ohne Zaudern den Hunger 
tod vorzogen. Der von christlicher Liebe erfüllte Bischof begnügte 
sich mit dieser Hekatombe und ließ den Rest der noch am Leben ge 
bliebenen Juden weiterziehen; erst in Afrika gewannen sie wieder 
festen Boden unter den Füßen und ließen sich schließlich in Fez 
nieder 1 ). 
Nicht viel beneidenswerter war das Los derjenigen, die in Erman 
gelung des Reisegeldes oder aus anderen Gründen über die festge 
setzte Frist hinaus in Portugal verblieben. Alle, die nicht in der Lage 
waren, die hohe Kopfsteuer zu entrichten, wurden kurzerhand zu 
Leibeigenen des Königs erklärt. Die portugiesischen Granden säum 
ten nicht, die lebende Beute unter sich zu verteilen, und ein jeder 
suchte sich die ihm besonders zusagenden jüdischen Männer und 
U Diese Episode ist uns von einem der spanischen Exulanten, von dem Kab 
balisten Jehuda Chajat, überliefert, der selbst unter den Schiffspassagieren war 
und dessen Gattin an Bord den Hungerqualen erlag (s. Vorrede zum Buche des 
Chajat „Minchath Jehuda“).
	        
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