§ 4. Religiöse Disputationen und Verbrennung des Talmud
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die Disputationen in der Öffentlichkeit und Literatur gleichsam zu
einer Alltagserscheinung. Beide Parteien rüsteten sich voll Eifer zu
diesen Turnieren: verfaßten die katholischen Theologen polemische
Traktate zur Anleitung der Christen bei ihren Disputationen mit den
Juden 1 ), so schrieben die Rabbiner ihrerseits Leitfäden zur Wider
legung der Dogmen des Christentums sowie seiner abwegigen Bibel
auslegung. Um diese Zeit eben verfaßten die in der Provence leben
den Grammatiker und Kommentatoren Joseph und David Kimchi
(Band IV, § 47) ihre antichristlichen Apologien. Im Vorwort zu sei
nem „Buch des Bundes“ („Sefer ha’berith“) betont Joseph Kimchi
ausdrücklich, daß er es auf Zureden seiner Schüler als Handbuch für
Disputationen mit Andersgläubigen und getauften Juden verfaßt hätte,
die den Sinn der Heiligen Schrift durch symbolische Auslegung in
christlichem Geiste zu entstellen und zu verdrehen suchen.
Der kurzgefaßte Traktat ist dem literarischen Brauche der Zeit
gemäß in Form eines Dialogs zwischen einem Christen und einem Ju
den („Min u’maamin“) gehalten und behandelt in Rede und Gegen
rede die Dogmen von der Dreifaltigkeit und der Mutter Gottes, von
Christus als dem Erlöser von der Erbsünde sowie seine angebliche
messianische Berufung. Zuweilen greift die theologische Auseinander
setzung auch auf das Gebiet des sozialen und alltäglichen Lebens über.
So sucht der Jude in diesem Dialog zu beweisen, daß seine Stammes^-
genossen in moralischer Hinsicht den Christen überlegen seien. Die
Gebote: „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht ehebrechen“ be
folgten die Juden in viel strengerer Weise als die Christen, wie dies
durch die Tatsache bezeugt werde, daß unter ihnen Mörder und Lüst
linge viel seltener anzutreffen seien; auch die Nächstenliebe sei bei
den Juden viel fester verwurzelt: stünden sie doch einander in der Not
stets hilfreich bei und trügen Sorge um ihre Armen, wobei sie den
verschämten Notleidenden die Unterstützung insgeheim zukommen lie
ßen; sie zeichneten sich auch durch Gastfreundlichkeit aus und ließen
den Fremden nie die Zeche bezahlen, was bei den Christen nur sehr
1 ) Größtenteils wurden diese Bücher in Form von Dialogen zwischen einem
Christen und einem Juden abgefaßt. Große Volkstümlichkeit erlangten die Schrif
ten des Mönches Ruppert: „Annulus seu Dialogus christiani et judaei de fidei
sacramentis“ und Peters von Blois: „Liber contra perfidiam judaeorum“. Im XIII.
Jahrhundert wurden solche polemische Leitfäden nicht selten auch in der franzö
sischen Volkssprache verfaßt („De la disputaison de la sinagogue et de la sainte
6glise“).