Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das französische Zentrum und die englische Kolonie 
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wählten Ältesten oder „Konsuln“ verwaltet, die in Angelegenheiten 
der städtischen Wohlfahrt und der Verkehrssicherheit den Stadt 
konsuln oder dem Magistrat unterstellt waren, in den inneren Ge 
meindeangelegenheiten aber völlig freie Hand hatten. An der Spitze 
der Gemeinde stand ein „Nassi“ aus dem angesehenen Kalonymiden- 
geschlecht (Band IV, §§35 und 89), der im Volke unter dem prunk 
vollen Namen „roi juif“ (jüdischer König) bekannt war. Seine Re 
sidenz („cortada“) — eine Reihe hochragender, architektonisch voll 
endeter Gebäude — lag im Zentrum der „Grandes Juiveries“. Eine 
kleinere Gemeinde hatte sich im anderen, dem bischöflichen, Stadtteil 
niedergelassen. Der Lehensherr dieser Gemeinde, der Erzbischof, be 
zog von ihr die landesüblichen Abgaben, wofür er sie seinerseits gegen 
jeden Druck von außen und auch gegen die beengenden Kirchen 
kanons in Schutz nahm. So blieben denn hier nicht nur die von der 
Lateransynode in bezug auf die jüdische Sondertracht erlassenen Vor 
schriften unbeachtet, sondern auch die diesbezüglichen Ausführungs 
bestimmungen, die im Jahre 1227 auf einem Konzil in Narbonne 
selbst beschlossen worden waren. Der narbonnensische Erzbischof 
Peter III., der auf diesem Konzil den Vorsitz führte, konnte auch 
keinen Augenblick ernstlich daran denken, die für die Juden ernied 
rigenden Beschlüsse praktisch durchzuführen, da er sonst befürchten 
mußte, daß seine Untergebenen in den anderen, unter der Jurisdiktion 
des liberalen Vizegrafen stehenden Stadtteil übersiedeln würden. Zwar 
machten die Kanoniker der Ortskirchen die Mißachtung der Kirchen 
vorschriften den Erzbischöfen zum Vorwurf, doch ließen sich diese 
in ihrer doppelzüngigen Politik nicht beirren: während sie in den 
Kirchenversammlungen verschiedene die Kreditgeschäfte der Juden 
betreffende Verbote vorbehaltlos bestätigten (so z. B. in Montpellier 
im Jahre 12 58), legten sie dem Geldgeschäft in ihren eigenen Stamm 
sitzen, da es sowohl ihren persönlichen Interessen wie denen des Orts 
handels überhaupt förderlich war, keinerlei Hindernisse in den Weg. 
In dem Bestreben, Juden aus anderen Bezirken in seinen Machtbereich 
zu ziehen, verlieh der Erzbischof von Narbonne, Peter IV., seinen Ju 
den einen neuen Freiheitsbrief (1284). Indem er sich die Erhebung 
einer Hauptsteuer von jedem „Herd“ (feu) oder Rauchfang vorbe 
hielt, gewährleistete er zugleich den jüdischen Gläubigern das Recht, 
alle ihre billigen Forderungen vor Gericht geltend zu machen sowie 
gegebenenfalls sich an verpfändetem Gut schadlos zu halten, wobei
	        
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