Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 3. Die Juden unter Ludwig dem Heiligen 
alle wohlhabenden Juden in seinem Herrschaftsbereich festzunehmen 
und ihr Vermögen einzuziehen. Die Verhafteten wurden solange ge 
fangen gehalten, bis sie genaue Angaben über ihre finanzielle Lage 
gemacht hatten. Nach langwierigen Unterhandlungen konnten sie 
schließlich ihre Freiheit für die Summe von 20000 Livres erkaufen, 
die von den jüdischen Gemeinden von Toulouse und anderen Städten 
aufgebracht werden sollte. Im nächstfolgenden Jahre bestätigte Graf 
Alfons, dem christlichen Klerus zuliebe, auch die Verordnung seines 
Bruders über das „jüdische Zeichen“, ließ jedoch den Juden die 
Möglichkeit, sich von dem ihnen auf gedrückten Schandmal mit viel 
Geld loszukaufen. Auf diese Weise ward sowohl der Frömmigkeit wie 
der Habsucht Genüge getan. Als der Graf später von einem schweren 
Augenleiden befallen wurde, wandte er sich an den jüdischen Arzt 
Ibrahim, einen berühmten Okulisten, wiewohl die Kirchenregeln guten 
Christen die Konsultation jüdischer Ärzte strengstens untersagten. 
Besser war die Lage der seigneurialen Juden in jenen Gegenden 
Nord- und Südfrankreichs, die noch nicht unter die schwere Hand 
der Kapetinger geraten waren. Die an den „jüdischen Einkünften“ 
in Form von Kopfsteuern und Handelszöllen interessierten Grafen und 
Bischöfe waren gern bereit, den aus den königlichen Städten vertriebe 
nen Juden auf ihren Besitzungen Zuflucht zu gewähren. Im Süden 
übersiedelten die Juden aus Toulouse, Nimes und anderen vom Königs 
bruder Alfons verwalteten Städten in unaufhaltsamem Zuge nach Nar- 
bonne, wo zwei jüdische Gemeinden nebeneinander bestanden: die 
eine in dem unter der Gewalt des Vizegrafen stehenden Viertel, die 
andere in dem bischöflichen Stadtteil. Die durch den Verlust einer 
so ergiebigen Einkommensquelle, wie es die Juden waren, schwer be 
unruhigten königlichen Beamten spürten den Auswanderern an ihren 
neuen Wohnstätten nach, um bei ihnen als „königlichen Juden“ die 
Kopfsteuer einzutreiben; der Vizegraf und der Bischof bestritten in 
dessen die Rechtmäßigkeit dieser Forderung, da sie die Einwanderer 
als nur ihnen, den neuen Herren, tributpflichtig erachteten. Zugleich 
suchte ein jeder der beiden Fürsten von Narbonne, der weltliche wie 
der geistliche, die Juden durch Verheißung verschiedener Vorrechte 
in seinen Bezirk, in den Kreis seiner eigenen Jurisdiktion zu locken. 
So erfreute sich die Gemeinde in dem großen, unter der Protektion 
des liberalen Vizegrafen stehenden Judenviertel („Grandes Juiveries“) 
weitgehender Freiheiten. Sie wurde von aus ihrer eigenen Mitte ge- 
3 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V 
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