Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Der Zusammenbruch des jüdischen Zentrums in Spanien 
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zur Entkräftung des ersten Arguments noch hinzufügte, nur mit an 
nähernder Genauigkeit gemacht seien. Demgegenüber machten Ben- 
veniste und Albo ihrerseits geltend, daß der Talmud sich ja gänzlich 
darüber ausschweige, ob der Messias schon am Anfang oder erst am 
Ende des letzten zweitausendjährigen Zeitabschnitts erscheinen müßte; 
zugleich sprachen sie ihre Verwunderung darüber aus, wie man über 
haupt den Christus nicht anerkennenden Talmudisten eine ihrer 
Grundüberzeugung zuwiderlaufende Äußerung in den Mund legen 
könne. Der in die Enge getriebene Geronimo mußte das von ihm ins 
Treffen geführte Zitat fallen lassen und rückte in der nächsten Sit 
zung mit einer anderen Version der haggadischen Weissagung her 
aus, die die Ankunft des Messias in das fünfundachtzigste „Jubi 
läum“ seit der Weltschöpfung verlegt. Von neuem entbrannte ein 
Streit, in dessen Verlauf der Abgeordnete von Saragossa R. Mattathias 
seinem Gegner spöttisch den Vorschlag machte, aus demselben Tal 
mudtext auch noch den Spruch mitanzuführen: „Es mögen verrecken, 
die da die Endzeit der Welt berechnen wollen“. Der ob dieser Dreistig 
keit erboste Papst rief aus: „Törichtes Volk, wie töricht sind doch 
eure Talmudisten ! Geziemt es sich denn, gegen den Propheten Daniel, 
der Berechnungen über die Endfrist auf stellte, Verwünschungen aus 
zustoßen?“ Der Abgeordnete von Gerona Todros ibn Jachia versetzte 
indessen schlagfertig: „Wenn die Talmudisten wirklich so töricht 
sind, wie es dem päpstlichen Herrn erscheint, warum sucht man denn 
bei ihnen Beweise dafür, daß der Messias bereits gekommen sei? Seit 
wann ist es Brauch, sich auf Toren zu berufen!“ Und auch Joseph 
Albo rief zornentbrannt aus: „Sogar wenn ihr mir beweisen solltet, 
daß der Messias bereits erschienen sei, würde ich dennoch an mei 
nem Judentum festhalten“. Der Führer der jüdischen Delegierten 
Vidal Benveniste sprach auf der Stelle sein Bedauern über die 
schroffe Ausdrucksweise seiner Mitstreiter aus, und nach Aufhebung 
der Sitzung kam es zwischen den jüdischen Delegierten zu lebhaften 
Auseinandersetzungen: die allzu kühnen Disputanten, die sich trotz 
der getroffenen Verabredung keine Zurückhaltung auferlegt hatten, 
mußten sich wegen ihres Disziplinbruches nicht wenig Vorwürfe ge 
fallen lassen. Den Delegierten war es nämlich nicht entgangen, daß 
die Debatten unter der Kontrolle des Sitzungsleiters zu Protokoll auf 
genommen wurden, und so entstand die Befürchtung, daß man ihnen 
auf Grund ihrer Meinungsäußerungen später den Prozeß machen
	        
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