Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert 
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Kinder und die schlichten Leute auf dem flachen Lande sie durch 
aus nicht als Sinnbilder betrachten, vielmehr daran glauben, daß 
ihnen eine göttliche Natur zukomme?“ Der Täufling mußte dies be 
jahen. Hierauf der Rabbiner: „Darum sagen wir ja auch, daß wir 
uns von den ,Völkern aller Länder*, will sagen: von den einfältigen 
Landleuten, die da glauben, diese bildlichen Darstellungen seien selbst 
Götter, durchaus unterscheiden“. Durch diese gewandte Parade war 
der erste Hieb abgewehrt. Noch überzeugender machte Lipmann den 
Vorwurf wegen der versteckten Anspielung auf Jesus durch den Hin 
weis zunichte, daß der christliche Heiland auf hebräisch nicht „Jeschu“, 
sondern „Joschua“ (Josua) heiße, was die ganze Zahlenkombination 
des Anklägers über den Haufen werfe. Nicht minder geschickt parierte 
er jenen Punkt der Anklage, demzufolge die Juden in dem „Schmona- 
essre‘*-Gebet mit den Worten: „Und den Abtrünnigen 1 ) sei keine 
Hoffnung** einen Fluch gegen die Konvertiten ausstießen. „Haben 
es doch die Christen selbst bestimmt — so argumentierte der Sach 
walter des Judentums —, daß ein die Taufe annehmender Jude zu 
seiner Religion nicht mehr zurückkehren dürfe, folglich besteht auch 
bei seinen Angehörigen und Freunden keine Hoffnung mehr, ihn 
jemals wieder als Juden zu sehen. Nur dies soll das Gebet zum Aus* 
druck bringen**. Auf Grund des Neujahrsgebetes, in dem Gott ange 
fleht wird, die „Willkürherrschaft („memscheleth sadon“) auf Er 
den zu bannen**, erdreistete sich der Täufling, die Juden sogar des 
Hochverrates zu beschuldigen, da sie mit diesen Worten, wie er be 
hauptete, die Herrscher der christlichen Staaten treffen wollten. Auch 
in diesem Punkte war jedoch der Prager Rabbiner um die Antwort 
nicht verlegen: mit den inkriminierten Worten — so sagte er — seien 
nicht die rechtmäßigen Könige, sondern allein jene Usurpatoren ge 
meint, die den gesetzlichen Herrschern die Gewalt streitig machten. 
Dank seiner großen Umsicht gelang es dem Rabbiner, den durch 
die Denunziation des Pessach-Peter angezettelten Verfolgungen glück 
lich zu entgehen, doch lief die Sache, wie er berichtet, für viele Mit 
glieder seiner Gemeinde durchaus nicht so glimpflich ab: drei von 
den verhafteten Juden wurden im Jahre i4oo auf dem Scheiterhaufen 
!) Statt des uns geläufigen „La’malschinim“ steht im „Nizzachön“ das Wort 
„La’meschumadim“: anscheinend war dies damals die übliche Form, in der der 
bekannte Verwünschungsspruch gegen die „Minäer“ gesprochen zu werden pflegte 
(Band III, S io).
	        
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