Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 48. Das innere Leben und der Rabbinismus 
ging darauf, das Interesse für die in Vergessenheit geratenen dog 
matischen und apologetischen Probleme von neuem zu erwecken. Er 
wollte seine Zeitgenossen darin unterweisen, wie sie den von Christen 
gegen die Lehren des Judaismus erhobenen Einwänden begegnen und 
die Grundwahrheiten ihres Glaubens wirksam verteidigen könnten. 
Hierbei konnte der Verfasser auch seine eigenen Erfahrungen ver 
werten, da er, wie er in dem Schlußkapitel seines Buches berichtet, 
selbst einmal in die Lage kam, mit christlichen Geistlichen disputie 
ren zu müssen. Im Jahre 1899 tauchte nämlich in Prag ein heim 
tückischer Täufling namens Peter (Pessach) auf, der den Kirchen 
behörden hinterbrachte, daß die Juden in ihren Gebeten die Christen 
schmähten und ihre Religion als Götzendienst verhöhnten. Hierauf 
wurde Lipmann als das Oberhaupt der Prager Gemeinde mitsamt 
einigen jüdischen Notabein verhaftet und wegen des dem Judentum 
zur Last gelegten Verbrechens einem Verhör unterzogen. Es galt, die 
Aussagen so zu formulieren, daß sich die kirchlichen Richter in ihren 
religiösen Gefühlen nicht getroffen fühlen sollten, daß vielmehr „der 
Groll der Andersgläubigen beschwichtigt“ werde. So entschloß sich 
denn der Rabbiner, bei der Konfrontation mit dem Denunzianten den 
die beiden Religionen entzweienden Hauptstreitpunkt ganz außer 
Spiel zu lassen und sich nur auf eine formelle Widerlegung der er 
hobenen Anklage zu beschränken. Dieser Aufgabe entledigte sich der 
jüdische Gelehrte mit meisterlichem Geschick. Der erste Punkt der 
Anklage lautete, daß die Juden in dem Gebet „Alenu“ (Band III, 
§28) um die „Vertilgung der Götzen“ beteten und Gott dafür prie 
sen, daß er sie „unter den Völkern aller Länder, die sich vor einem 
Gespenst und einem Nichts bücken, auserlesen“ hätte. In diesem Satz 
sollte nun, wie es in der Anzeige des Täuflings hieß, eine versteckte 
Anspielung auf Jesus verborgen sein, da dessen hebräischer Name 
„Jeschu“ in hebräischen Schriftzeichen, die zugleich Zahlenzeichen 
sind, denselben Zahlenwert ergebe, wie das für „und Nichts“ stehende 
hebräische Wort „wa’rik“; hieraus wurde aber weiter gefolgert, daß 
auch mit den im Gebete erwähnten „Götzen“ nichts anderes als das 
Kreuz und die christlichen Heiligenbilder gemeint seien. Der Prager 
Rabbiner erwiderte indessen dem Pessach alias Peter: „Du wirst wohl 
selbst zugeben, daß alle von euch verehrten hölzernen und steinernen 
Bildsäulen nichts als Sinnbilder sind und der Wesenhaftigkeit an und 
für sich entbehren. Übertreibe ich aber, wenn ich sage, daß Weiber* 
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