Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 47. Der Niedergang der deutschen Gemeinden (1U50—1500) 
die ganze Gemeinde scheinbar bloßgestellt war, befahl der Stadtrat 
alle Ausgänge des jüdischen Viertels zu verrammeln und das ganze 
Hab und Gut der Juden mit Beschlag zu belegen (1476). Einige Ju 
den, denen es gelungen war, aus der Stadt zu entkommen, beeilten 
sich indessen, vor dem Kaiser über die unerhörten Übergriffe der 
Ortsbehörden Klage zu führen, worauf ein kaiserlicher Erlaß den 
Stadtrat zur unverzüglichen Befreiung der Verhafteten aufforderte. 
Der Rat erwiderte jedoch, daß die Jurisdiktion über die Juden in sol 
chen Angelegenheiten der Stadt, dem bayerischen Herzog und dem 
Klerus zustehe. Friedrich bestand aber energisch auf seiner Forde 
rung, um so seine Rechtsstellung als Obervormund der Juden in de 
monstrativer Weise zu betonen. Andererseits hatte der Kaiser für die 
Ritualmordmärchen überhaupt wenig übrig und erblickte in solchen 
Prozessen nichts als heimtückische Ränke der Judenhasser. Herzog 
Ludwig und der Regensburger Bischof waren schon bereit, der kaiser 
lichen Forderung Genüge zu tun, doch sollte sich der Stadtrat als 
äußerst unnachgiebig erweisen. Er faßte sogar den Beschluß, einige 
der Verhafteten den Henkern auszuliefern. Als der Kaiser dies er 
fuhr, tat er die widerspenstige Stadt in Reichsacht und stellte ihr 
noch schärfere Strafen in Aussicht. Durch diese Maßnahmen schließ 
lich zur Nachgiebigkeit veranlaßt, begannen die Stadtväter ihre Po 
sition Schritt für Schritt zu räumen: zunächst ließen sie die über 
das jüdische Viertel verhängte Sperre wieder aufheben, behielten aber 
nach wie vor siebzehn Angeklagte in Haft. Mittlerweile schickten sie 
Abordnungen an Kaiser und Herzog, suchten auch den Papst zu be 
einflussen und fingen gierig allerlei Gerüchte über an anderen Or 
ten vorgekommene „Ritualverbrechen“ auf, um den Machthabern die 
Verruchtheit der Juden vor Augen führen zu können. Aber auch die 
Juden blieben nicht müßig: sie überreichten dem päpstlichen Legaten 
eine Denkschrift über die Grundlosigkeit des Blutaberglaubens, die 
ja von jeher durch päpstliche Bullen bezeugt worden sei; zugleich 
richteten sie auch an Friedrich eine Eingabe, in der sie den Beweis 
führten, daß ihre Vorfahren seit unvordenklichen Zeiten, noch vor 
Christi Geburt, in Regensburg ihren Wohnsitz gehabt hätten und 
folglich an seiner Kreuzigung keine Schuld tragen könnten. Im Jahre 
1478 befahl schließlich der Kaiser dem Stadtrat, die Verhafteten bin 
nen drei Wochen endgültig freizulassen, an den Reichsschatz die 
Summe von 8000 Gulden zu entrichten und überdies die Gewähr da 
33i
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.