Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 44. Der Schwarze Tod (13U8—13U9) 
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sogenannten „Flagellanten“ oder Geißlern, die laut zur Besänftigung 
des göttlichen Zornes durch Bußetaten aufriefen, mitten in der Straße 
ihren durch Nägel und Dornen zerfetzten Leib entblößten und sich 
vor aller Augen geißeln ließen. Hand in Hand mit der Selbstquälerei 
der Bußfertigen ging, von demselben Grausamkeitsaffekt entfacht, 
eine bestialische Marterung der Juden. Nur wenige Nüchterne unter 
den Christen sollten sich der Massenpsychose gegenüber als immun 
erweisen. Zu diesen wenigen gehörten die Stadträte von Basel, Frei 
burg, Straßburg und Köln, die die den Juden zur Last gelegte Schuld 
zu bezweifeln wagten. Der Rat von Köln schrieb an den von Straß 
burg, daß er die Pest als eine „Geißel Gottes“ (plaga Dei) betrachte 
und die Juden vor allen Ausschreitungen, die zu einem allgemeinen 
Unglück für Stadt und Land werden könnten, kraftvoll schützen 
wolle. 
Besonders brennend wurde die Frage von der jüdischen Schuld 
im Elsaß, das erst vor kurzem von der Armlederbewegung heimge 
sucht worden war. In Straßburg entbrannte darob ein erbitterter 
Kampf der Parteien. Während nämlich der Bürgermeister Konrad 
von Winterthur und zwei andere Mitglieder des Stadtrates, der Richter 
Sturm und der Zunftälteste Schwarber, die Juden in Schutz nahmen, 
stand die Mehrzahl der Bevölkerung, namentlich die Handwerker 
zünfte, ganz im Banne des Judenhasses. Unter der Maske des religiö 
sen Fanatismus traten hierbei in unzweideutigster Weise die aller 
gemeinsten Motive hervor. Die einen wollten die Juden durch Aus 
rottung oder Vertreibung zu dem Zwecke los werden, um sich von 
ihren Verpflichtungen gegenüber den jüdischen Gläubigern zu be 
freien und wieder zu ihren Pfändern zu kommen, andere trachteten 
danach, Häuser und Besitz der Juden für billiges Geld, wenn nicht 
gar kostenlos an sich zu reißen. Da die „jüdische Frage“ in dieser 
Form auch an vielen anderen Orten einen heftigen Parteikampf aus 
löste, so beschlossen die Stadtväter von Straßburg, im elsässischen 
Benfeld eine Versammlung der Abgeordneten der an dieser Frage 
interessierten Städte sowie der Vertreter des Adels und der Geistlich 
keit einzuberufen (im Januar i349). Bei dieser Beratung plädierten 
die erwähnten Stadthäupter von Straßburg mit aller Wärme für die 
Unschuld der Juden und forderten für die grundlos Verfolgten Schutz 
maßnahmen, doch wurden sie von ihren Gegnern überstimmt: mit 
großer Stimmenmehrheit wurde der Beschluß gefaßt, die Juden für
	        
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