Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert 
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tember i348). Von hier aus drang die Verleumdungsseuche, der nach 
dem Norden hin sich ausbreitenden Pest auf den Fersen folgend, in 
die Schweiz ein. Im Kanton Aargau und in Bern tauchte die Mär von 
festgenommenen Giftmischern auf, worauf die Mitglieder des Ber 
ner Stadtrates den Stadträten von Basel, Freiburg und Straßburg die 
Nachricht zukommen ließen, daß die Juden überall „Gift ausstreu 
ten“. Bald wurden in Zürich einige der „schuldigen“ Juden ver 
brannt, während der Rest aus der Stadt vertrieben wurde. Auch in 
Konstanz, Schaffhausen, Überlingen und in anderen um den Boden 
see herum gelegenen Städten wurden die Juden scharenweise ver 
brannt, gehenkt, gerädert. In Konstanz fand sich ein Jude, der aus 
Verzweiflung in die Taufe einwilligte, dann aber, von Reue geplagt, 
sein Haus in Brand steckte, um mit dem Rufe: „Sehet, ich sterbe als 
Jude!“ mitsamt seiner Familie in den Flammen umzukommen. Im 
September ließ der Papst erneut an die Christenheit eine Bulle er 
gehen, in der er die Grundlosigkeit der gegen die Juden erhobenen 
Anklage betonte und darauf hinwies, daß die angeblichen Urheber 
der Volksseuche ihr ja selbst zum Opfer fielen und daß anderer 
seits die Pest auch dort wüte, wo es keine Juden gebe. Die so ein 
leuchtenden Beweisgründe des Hauptes der katholischen Welt muß 
ten indessen ihre Wirkung auf die Menge, die von der Geisteskrank 
heit der „Judäophobie“ im Sinne der „Judenscheu“ befallen war, 
gänzlich verfehlen. Kam doch diese Krankheit überall mit derselben 
elementaren Gewalt zum Durchbruch wie etwa die Hydrophobie, die 
Wasserscheu, bei Menschen, die von einem tollwütigen Hunde ge 
bissen worden sind. 
Besonders grauenvoll waren die Folgen, die der „Schwarze Tod“ 
für die Judenheit Deutschlands nach sich zog, wo er gegen Ende des 
Jahres i348 seinen unheimlichen Einzug hielt, um dann ein ganzes 
Jahr lang unaufhörlich zu wüten. Die christlichen Volksmassen teil 
ten hier einfältiger- oder geheuchelterweise den Glauben, daß die 
Juden im gesamten Rhein- und Donaugebiet alles Wasser mit ihrem 
Gift verseucht hätten. Das Volk kehrte sich weder an die päpstlichen 
Bullen noch an die Ermahnungen des neuen Kaisers Karl IV. (1347 
bis 1378), der für die dem Staatsschatz durch die Judenverfolgungen 
zugefügten Verluste die Städte haftbar zu machen drohte. Ganz 
Deutschland stand eben im Banne des religiösen Wahnsinns. Durch 
die Städte zogen Scharen von in Raserei geratenen Fanatikern, den
	        
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