Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert 
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abergläubischen deutschen Kleinbürger vermochte diese Fabel zu einer 
wahren „Heldentat“ zu begeistern. An einem festgesetzten Tage über 
fielen sie auf ein von der Sturmglocke gegebenes Zeichen hin die 
jüdischen Einwohner von Deggendorf, machten sie nieder, plünder 
ten ihre Habe und äscherten ihre Häuser ein (3o. September 1337). 
Mit dem erbeuteten Gelde wurde in der Stadt zum Andenken an das 
geschehene Wunder eine Kirche erbaut. In dieser Kirche wurden die 
Überreste der angeblich durchstochenen Hostie als heilige Reliquie 
auf bewahrt, und die Brotkrümel lockten jahrhundertelang unzählige 
Wallfahrer herbei. An einer der Kirchensäulen wurde eine Inschrift 
angebracht, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Sie lau 
tet: „Anno i337, den nächsten Tag nach Michaelis Tagen, do wur 
den die Juden erschlagen, die Stadt sie anzunden, do war Gottes 
Leichnam funden. Das sahn Frau und Mann. Do hub man das Gottes 
haus zu bauen an“. 
Das Gemetzel beschränkte sich indessen nicht auf diesen einen 
Ort. Gemordet und geplündert wurden die Juden auch in anderen 
Städten Bayerns sowie in Österreich und Böhmen. Das Volk erzählte 
sich allerorten Geschichten von auf gefundenen „wundertätigen Ho 
stien“ (hostia mirifica), die angeblich von den Juden „mit Wunden 
bedeckt“ worden seien. Der rohe Aberglaube war ein fruchtbarer 
Boden für blutige Wahnideen, die die religiösen Gefühle zu gehor 
samen Werkzeugen der brutalsten Instinkte machten. Auch in Öster 
reich tauchten wunderwirkende Hostien auf, zu denen große Men 
gen von Wallfahrern strömten, die jeden Augenblick bereit waren, 
ihren religiösen Eifer durch eine Judenschlächterei zu bezeugen. Der 
österreichische Herzog Albrecht II., der der unsinnigen Mär keinen 
Glauben schenkte, wandte sich an den Papst Benedikt XII. mit der 
Bitte, über die mit Judenhetzen verbundene neue Form der Gottes 
verehrung seine apostolische Meinung zu äußern. Der Papst befahl 
hierauf dem Bischof der Diözese von Passau, wo diese „Wunder“ 
geschehen waren, der Sache auf den Grund zu gehen und, falls die 
Juden sich als unschuldig erweisen sollten, künftighin die Erhebung 
solcher Anklagen nicht mehr zu dulden. Allein auch das Wort des 
Hauptes der Kirche erwies sich als machtlos gegenüber dem dunklen 
Aberglauben der Menge, der nach wie vor aufs sorgsamste gepflegt 
wurde, weil er vielen Gewinn einbrachte: die Ortsbehörden strichen 
nämlich von den terrorisierten Juden für den ihnen versprochenen
	        
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