Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ Ul. Die letzten Überreste der französischen Judenheit 
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Die Geschichte dieser Splitter des zerstörten Zentrums bildet gleich 
sam den Epilog zu der von der französischen Judenheit erlebten Tra 
gödie. 
Den jüdischen Gemeinden in der Dauphine, in den Städten Gre 
noble, Nyon, Vienne und manchen anderen strömten im Laufe des gan 
zen XIV. Jahrhunderts seit der Vertreibung im Jahre i3o6 unausge 
setzt Auswanderer aus den Kronländern zu. Die den Ankömmlingen 
Zuflucht gewährenden Landesherren, die Dauphins, waren bestrebt, 
aus der erwiesenen Wohltat möglichst viel Kapital zu schlagen. Sie 
belasteten die Juden mit schweren Steuern und machten sich ihre Fi 
nanztüchtigkeit zunutze, ohne ihnen indessen in Augenblicken der Ge 
fahr ausreichenden Schutz zu gewähren. So ging es hier zur Zeit des 
„Schwarzen Todes“ (i348) nicht ohne Mißhandlung von der Verbrei 
tung der Pest verdächtigen Juden ab. Je mehr Ausgewiesene aus Frank 
reich in der Dauphine eine Zufluchtsstätte suchten, desto höher stieg 
jedoch der Preis für die gewährte Gastfreundschaft. Jedes Zugeständ 
nis, jedes „Privileg“ mußte teuer bezahlt werden. Im Jahre i388 er 
klärte der Dauphin Humbert II. alle den Juden bis dahin eingeräum 
ten Vorrechte für ungültig, um so für die Verleihung neuer Frei 
briefe einen neuen Tribut fordern zu können. Außer der Erhebung 
der ordentlichen und außerordentlichen Abgaben griff man nicht sel 
ten zu Brandschatzungen und zur Vermögenseinziehung. Man ahmte 
hierbei in allen Einzelheiten die damalige französische Mode nach und 
verzichtete nur auf deren für den Staatsschatz so nachteiligen Aus 
wuchs — auf die Ausweisung. So verfügte die Regierung im Jahre 
i/ji3 dem Klerus zu Gefallen, daß die Juden in den Städten auf be 
sonderen Märkten Handel treiben, nur ihre eigenen öffentlichen Brun 
nen und Backöfen benützen und mit den Christen überhaupt nicht 
verkehren sollten. Bald nach der Angliederung der Dauphine an die 
Kronländer Frankreichs (i456) machte sich das Bestreben bemerk 
bar, die Juden auch aus diesen Provinzen zu verdrängen. Der Dauphin 
Ludwig, der spätere König Ludwig XL, suchte alle möglichen Vor 
wände, um ihnen auf den Leib zu rücken. In Vorahnung der heran 
nahenden Vertreibung begannen nun die Juden dieses Land, das den 
ewigen Wanderern für eine kurze Zeit Obdach gewährt hatte, frei 
willig zu verlassen. 
Viel schwerer fiel es den in der Provence ansässigen Juden, sich 
von ihrer alten Heimat, von Städten wie Arles und Marseille zu tren
	        
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