Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Zerstörung des französischen Zentrums 
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nare in den Kirchen beizuwohnen, da dies für sie, wie es im könig 
lichen Befehle hieß, „mit der Gefahr einer Körperverletzung ver 
bunden war“ (um ihre „Seele“ scheint wohl den unfreiwilligen Zu 
hörern nicht im geringsten bange gewesen zu sein). Die „verhaßten 
Privilegien“ blieben indessen nicht ohne Wirkung: die vom Kredit 
geschäft lebenden Juden, die an den Staatsschatz ungeheure, zuweilen 
ihre Leistungsfähigkeit übersteigende Steuern zu entrichten hatten, 
bedrückten ihrerseits ihre eigenen Schuldner, indem sie ihnen hohe 
Zinsen abforderten. Von neuem wurden Klagen gegen den jüdischen 
Wucher laut. In Paris gingen solche Anschuldigungen in erster Linie 
von den heruntergekommenen Verschwendern unter den Edelleuten 
aus, die bei den Juden stark verschuldet waren und gern ihre lästigen 
Gläubiger los werden wollten. Schon war der König bereit, den mit 
den Juden geschlossenen Vertrag zu kündigen, nahm aber dann von 
seinem Vorhaben Abstand und begnügte sich mit einem entsprechen 
den Lösegeld (i368). 
Im Jahre i38o war die zwanzigjährige Frist, für die den Juden 
der Aufenthalt in Frankreich gewährt worden war, abgelaufen. 
Der gerade in diesem Jahre zur Regierung gelangte neue König 
Karl VI. verlängerte das Aufenthaltsrecht seiner jüdischen Untertanen 
und bestätigte auch, allerdings gegen einen angemessenen Steuer- 
hetrag, ihre „Privilegien“. Die „jüdische Beute“ reichte indessen 
nicht aus, den Bedarf des Fiskus voll zu decken, und so hatte unter 
dem Steuerdruck auch die christliche Bevölkerung schwer zu leiden. 
Die Vergünstigungen, die man von dem neuen König erhoffte, blie 
ben aus, und bald kam es in Paris zu offenem Aufruhr. Die Bürger 
schaft verlangte die Herabsetzung der Steuersätze, während eine 
Gruppe von Edelleuten, die sich der Menge angeschlossen hatte, über 
dies noch die Ausweisung ihrer jüdischen Gläubiger forderte. Nach 
Ausplünderung des Staatsschatzes drang das Volk in das jüdische 
Viertel ein, bemächtigte sich der Habe seiner Einwohner, zerriß die 
bei den Geschäftsleuten Vorgefundenen Schuldverschreibungen und 
nahm die in ihren Häusern verwahrten Pfänder weg; hierbei wurden 
auch nicht wenige Juden niedergemacht und eine große Zahl von jü 
dischen Kindern gewaltsam der Taufe zugeführt. Nach der Unter 
drückung des Aufruhrs befahl der König dem Pariser Stadthaupt 
mann (prevot), den Ausgeplünderten ihren Besitz zurückzuerstatten 
und den Eltern ihre entführten Kinder zurückzugeben, doch leisteten
	        
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