Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Zerstörung des französischen Zentrums 
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seits, auf ihren Gewändern ein rundförmiges Abzeichen van vorge- 
schriebener Größe zu tragen und sich aller religiösen Auseinander 
setzungen mit christlichen Laien zu enthalten. Die Gültigkeitsdauer 
des Vertrages wurde auf zwölf Jahre festgesetzt, nach deren Ablauf 
es dem König freistand, die Juden aus Frankreich wieder auszuwei 
sen, jedoch unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist. In 
seinem Dekret über die Zurückberufung der Juden (vom 28. Juli) 
hebt der König ausdrücklich hervor, daß sein seliger Vater sie aus 
Frankreich nur auf Einflüsterungen schlechter Ratgeber ausgewiesen 
hätte, daß er, Ludwig, aber mit Zustimmung der Prälaten und Barone 
es für gut befunden hätte, sie wieder ins Land zu rufen, da dies der 
„Stimme des gesamten Volkes“ („commune clamour du peuple“) ent 
spräche. 
Viele Ausgewiesene zögerten denn auch nicht, aus den französi 
schen Randgebieten, zum Teil auch aus dem Auslande, nach Frank 
reich zurückzukehren. Die an den Ruin gebrachten, ihres ganzen Ver 
mögens beraubten jüdischen Familien gingen nunmehr daran, durch 
Rückkauf des enteigneten Besitzes und durch Realisierung der win 
zigen Überreste ihrer ehemaligen Geldforderungen ihren Wohlstand 
wieder aufzubauen. Die zerstörten Gemeinden begannen sich von 
neuem einzurichten, indem sie ihre alten Synagogen und ihren son 
stigen Besitz von den christlichen Eigentümern zurückerwarben. An 
diesem Wiederherstellungswerke arbeiteten in den einzelnen Städten 
besondere Kommissionen, an denen sich neben den Vertretern der 
jüdischen Gemeinden auch königliche Beamte beteiligten. Doch war 
es nicht mehr möglich, das einmal Zerstörte in vollem Umfange wie 
der aufzubauen. Die Zahl der Gemeindemitglieder war stark zurück 
gegangen, weil nur ein Teil der Verbannten sich zur Rückkehr ent 
schlossen hatte; die meisten darunter gehörten überdies der weniger 
bemittelten Schicht an, da die Wohlhabenderen bereits in anderen 
Ländern festen Fuß gefaßt hatten. Trotz dieser ungünstigen Verhält 
nisse hätte das jüdische Zentrum in Frankreich vielleicht dennoch 
wiederhergestellt werden können, wenn den Heimgekehrten in der 
Tat jene Sicherheit von Leben und Besitz zuteil geworden wäre, die 
ihnen durch die Dekrete Ludwigs X. und seines Nachfolgers Phi 
lipp V. (1817) so feierlich gewährleistet worden war. Indessen ging 
es über die Kraft der damaligen französischen Herrscher, für das 
von ihnen verpfändete Wort einzustehen. Verfolgungen und Gewalt
	        
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