Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das spanische Zentrum im XIV. Jahrhundert 
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verloren war, machten viele Juden ihrem Leben selbst ein Ende, in 
dem sie sich erdolchten oder von dem Festungsturm herab in die Tiefe 
stürzten; andere warfen sich voll Verzweiflung den Feinden entgegen 
und fanden in dem ungleichen Kampfe den Tod; nur wenigen ge 
lang es, durch Flucht zu entkommen, der Rest schwor seinen ange 
stammten Glauben ab (am 8. August). Unter den Märtyrern des Glau 
bens fiel hier auch der einzige Sohn des Philosophen Ghasdai Cres- 
cas, der in seiner Schilderung der Katastrophe kurz bemerkt: „Ich 
selbst gab als Opfer ein makelloses Lamm, meinen einzigen Sohn 
hin“. Außer Barcelona kamen in Katalonien auch die Gemeinden von 
Gerona und Lerida zu Schaden, hingegen blieben im eigentlichen 
Aragonien fast alle Gemeinden unversehrt, da die königlichen Be 
hörden und die Feudalherren hier ihr „jüdisches Eigentum“ mit viel 
größerer Energie in Schutz nahmen. 
Die blutige Welle wälzte sich auch an die Insel Mallorca heran. In 
der Inselhauptstadt Palma wurden nicht nur die Juden in bestiali 
scher Weise ermordet, sondern auch die Häuser jener mitleidsvollen 
Christen der Zerstörung preisgegeben, die den Verfolgten Zuflucht 
zu gewähren wagten. Viele Juden schlossen sich in der Stadtburg ein, 
um sich dann des Nachts mit Genehmigung des Gouverneurs ans 
Ufer zu schleichen und nach Nordafrika einzuschiffen. 
Die Flüchtlinge aus Kastilien fanden ein zeitweiliges Asyl in dem 
benachbarten Portugal. Hier war die Bevölkerung noch nicht so weit 
„aufgeklärt“, um der Religion der Liebe durch Blutvergießen die 
Ehre zu geben. Überdies hatte der Oberrabbiner von Portugal, Moses 
Navarro, der zugleich Leibarzt des Königs Juan war, diesem die 
päpstliche Bulle vorgelegt, die es ausdrücklich untersagte, Juden Ge 
walt anzutun oder sie zur Taufe zu zwingen, worauf die Bulle über 
all im Lande zur öffentlichen Kenntnis gebracht wurde. 
So wurden die spanischen Juden im Sommer des Jahres i3qi 
von denselben harten Prüfungen heimgesucht, wie sie einst im Som 
mer des Jahres 1096 ihren Stammesbrüdern an den Ufern des Rheins 
beschieden waren. Die durch die Haßpredigt des Martinez ins Leben 
gerufene Bewegung stellte in der Tat einen wahren Kreuzzug gegen 
die im Lande selbst ansässigen Andersgläubigen dar. Auch den spa 
nischen Juden blieb die Dornenkrone des Märtyrertums nicht er 
spart, doch waren sie für die schwere Prüfung viel weniger gerüstet 
als ihre Brüder jenseits der Pyrenäen. Die deutschen Juden pflegten
	        
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