Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das spanische Zentrum im XIV. Jahrhundert 
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der hingeschlachteten jüdischen Familien an sich zu reißen und die 
am Leben gebliebenen Juden für die ihnen gewährte „Protektion“ mit 
schweren Steuern zu belasten. So verfielen die Gemeinden von Na 
varra nach und nach in Armut und gegen Ende des XIV. Jahrhunderts 
war die jüdische Bevölkerung des Landes stark zusammengeschmol 
zen. 
Um die gleiche Zeit war im äußersten Westen der Pyrenäischen 
Halbinsel, in Portugal, eine jüdische Kolonie erblüht, deren Verhält 
nisse an die besten Zeiten der kastilischen Judenheit erinnerten. Schon 
gleich nach der Begründung des unabhängigen Portugal wurde dort 
die jüdische Kolonisation von den Königen aus dem burgundischen 
Hause, die die Vorzüge einer auf die Mitarbeit jüdischer Finanzmän 
ner sich stützenden Verwaltung wohl begriffen hatten, mit allen ihnen 
zu Gebote stehenden Mitteln gefördert. Man verlieh den Juden die üb 
lichen „Privilegien“ und Selbstverwaltungsrechte, wofür sie ihrerseits 
verschiedene Steuern entrichten und daneben als Steuerpächter und 
Bankiers den Staatsschatz finanzieren mußten. Dies rief, wie über 
all, den Unwillen der beiden Antagonisten der königlichen Gewalt, 
des Adels und der Geistlichkeit hervor, die aus ihrer Unzufriedenheit 
über die mit dem Geiste des christlichen Staates angeblich unverein 
bare Erhöhung der Juden kein Hehl machten. So sahen sich denn die 
portugiesischen Könige im Laufe des ganzen XIII. Jahrhunderts ge 
nötigt, zwischen staatswirtschaftlichem Interesse und ständischen For-^ 
derungen zu lavieren. Obwohl die römischen Päpste und die Landes 
bischöfe den Königen Sancho II. (1228—12 45), Alfons III. (1246 
bis 1279) und Dionysius (1279—i32 5) immer wieder Vorhaltungen 
darüber machten, daß sie den andersgläubigen Finanzagenten Macht 
über die Christen verliehen, ihre jüdischen Untertanen nicht zum 
Tragen des Judenzeichens zwängen und sich auch sonst über die Kir 
chenregeln hinwegsetzten, vermochten sie die Landesherren zu ihrem 
Standpunkte nicht zu bekehren. 
In dieser Periode hatten die portugiesischen Juden in der Tat 
einen gewissen Einfluß auf die Staatsverwaltung gewonnen. In Por 
tugal fand nämlich ein eigenartiges Verwaltungssystem Anwendung, 
das gleichsam eine Verbindung der in Kastilien und Aragonien üb 
lichen Systeme darstellte: der König pflegte denselben Finanzmann 
sowohl zum Oberrabbiner (rabbi mor) als auch zum Staatsschatz 
meister zu ernennen. Als Vorsteher der jüdischen Gemeinden war
	        
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