Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Das spanische Zentrum im XIV. Jahrhundert 
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herer Zeit als auch auf das tragische Las des unter Heinrich II. zum 
Hauptsteuereinnehmer auf gerückten Juden Joseph Pichon. Während 
aber jene infolge von Hofintrigen oder tatsächlich begangenen Amts 
verbrechen das königliche Vertrauen einbüßten und im Kerker ihr 
Ende fanden, sollte Pichon von der jüdischen Gemeinschaft selbst 
gerichtet werden. Die Unbeliebtheit des Pichon unter seinen Stam 
mesgenossen ging wohl auf die von den ihm unterstellten Steuerein 
nehmern, namentlich bei der Eintreibung der erwähnten Kriegskontri 
bution, verübten Gewalttaten zurück. Eines Tages hinterbrachten die 
Feinde des Pichon dem König Heinrich, daß der Hauptsteuereinneh 
mer sich die Unterschlagung von Staatsgeldern zuschulden kommen 
lasse. Der König befahl darauf, Pichon in Haft zu nehmen und ihm 
eine schwere Geldstrafe aufzuerlegen, bereute aber dann seine Strenge 
und setzte den jüdischen Finanzmann in sein früheres Amt wieder 
ein. Der rachsüchtige Pichon beeilte sich nunmehr, die ganze kastili- 
sche Judenheit beim König zu denunzieren. Als das Rabbinergericht 
von Sevilla, dessen Gemeinde Pichon angehörte, davon Kunde erhielt, 
verhängte es gegen ihn als einen „Malschin“ (Denunziant, Verräter) 
auf Grund der autonomen jüdischen Gerichtsbarkeit die Todesstrafe. 
Es geschah dies kurz vor dem Tode des königlichen Gönners des Pi 
chon, Heinrichs II. Das Urteil des rabbinischen Gerichts wurde daher 
schon dem neuen König Juan I. und zwar gerade während der Krö 
nungsfeierlichkeiten zur Konfirmierung unterbreitet. Ohne der Sache 
tiefer auf den Grund zu gehen, setzte der König seinen Namenszug 
unter das Gerichtsurteil. Unmittelbar darauf erschienen im Hause 
des Pichon in Sevilla in Begleitung der Bevollmächtigten des rabbini 
schen Gerichts einige Polizeiagenten, die das Urteil auf der Stelle voll 
streckten. Als dem König später die Einzelheiten des verübten Selbst 
justizaktes durch die Freunde des Pichon zu Ohren gebracht wurden, 
gab er Befehl, den jüdischen Richter mit dem Tode zu bestrafen und 
dem Polizeichef von Sevilla eine Hand abzuhauen. 
Der Vorfall zog auch Folgen allgemeineren Charakters nach sich. 
Der König Juan entzog den Rabbinern die peinliche Gerichtsbarkeit, 
so daß sie fortan die Mitglieder ihrer Gemeinden weder zum Tode, 
noch zur Leibesverstümmelung, noch auch zur Deportation verurtei 
len durften. Es entsprach dies dem von den Cortes zu Soria geäußer 
ten Wunsche (i38o). Die Cortes von Valladolid gingen noch weiter 
und verlangten, daß den jüdischen Gemeinden auch die zivile Ge
	        
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