Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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schlitterten Kirche zu beschließen. Die jüdische Frage schien hierbei 
mit diesen Hauptaufgaben so unzertrennlich verbunden zu sein, daß 
fünf unter den siebzig vom Konzil auf gestellten Kanons ihr speziell 
gewidmet sind. Durch diese kirchliche „Kanonade“ glaubte man die 
inmitten der christlichen Welt ragende Feste des Judentums in Trüm 
mer legen zu können. Das Feuer wurde vor allem gegen die wirt 
schaftliche Position der Juden, gegen die von ihnen betriebenen Kredit 
geschäfte eröffnet. „Je entschiedener die Christen kraft der Gebote 
ihrer Religion von der Zinserhebung bei Gelddarlehen Abstand neh- 
— heißt es in einem der Kanons — „um so eifriger geben 
men 
sich mit derartigen Geschäften die ungläubigen Juden ab, um in kür 
zester Frist christliches Hab und Gut zu verschlingen. Um die Chri 
sten vor der Bedrückung seitens der Juden zu beschützen, treffen wir 
daher durch Konzilbeschluß die folgende Verfügung: Sollten die Ju 
den den Christen unter irgendeinem Vorwände beschwerliche und un 
mäßige Zinsen abpressen, so sollen ihnen jegliche Geschäftsbeziehun 
gen mit Christen, solange sie diese von der unerträglichen Last nicht 
befreit haben werden, untersagt bleiben“. Die Kontrolle über die Ein 
haltung dieser Vorschrift stand der kirchlichen Gewalt zu, die dabei 
von der weltlichen unterstützt werden sollte. Des weiteren läßt sich die 
Geistlichkeit schon pro domo aus: „Die Juden müssen dazu angehal 
ten werden, den Kirchen den Zehnten und die obligatorischen Ab 
gaben zu ersetzen, die sie von den christlichen Hausbesitzern und den 
Eigentümern sonstiger Liegenschaften vor dem Übergang (dieser Gü 
ter) in jüdische Hände bezogen, damit die Kirche keine Vermögens 
einbuße erleide“. Auf diese Weise wurde die Entrichtung des Zehn 
ten zugunsten der Kirche den Juden überall zur gesetzlichen Pflicht 
gemacht, während sie ehedem nur an einigen Orten dazu gezwungen 
zu werden pflegten. 
Die von der vierten Lateransynode eingeführte Hauptneuerung war 
indessen in jener Bestimmung der antijüdischen Kanons enthalten, 
durch die für die Juden zur Unterscheidung von den Christen eine 
besondere Tracht festgesetzt wurde. Wer kann sagen, wie die Kirchen 
häupter darauf verfallen sein mochten, sich die alte Erfindung der 
fanatischen muselmanischen Kalifen zu eigen zu machen, die sowohl 
1) Die dritte Lateransynode vom Jahre 1179 untersagte bekanntlich den Christen 
solche Geschäfte, was sie jedoch nicht daran hinderte, die Darlehensoperationen 
auch fernerhin zu betreiben (die italienischen „Lombarde“ und Banken).
	        
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