Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die spanisch-deutsche Hegemonie 
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Jude ist gleichsam der Sündenbock für das Wüten der feindlichen 
Elemente: 
„Pestis regnavit plebis quoque millia stravit, 
Contremuit tellus — populusque crematur hebraeus“ 1 ). 
In Frankreich gesellen sich zu den Ausschreitungen des Straßenmobs 
die Willkür der Könige und die Gewalttätigkeit der Behörden; das 
Ergebnis ist ein neuer Auszug der Juden aus dem französischen 
„Ägypten“. In Deutschland haben die Judenhetzen, die von den „Ju 
denschlägern“ und den Rächern für den „Schwarzen Tod“ angezettelt 
wurden, die gleichen Folgen wie ehedem die Heldentaten der Kreuz 
fahrer: es kommt zu einer noch drückenderen Versklavung der Juden 
durch ihre „Beschützer“: die Kaiser, Feudalfürsten und die Muni 
zipalbehörden. Im folgenden, im XV. Jahrhundert sinkt der Jude 
in sozialer Hinsicht auf eine noch tiefere Stufe herab, der Abgrund 
zwischen der jüdischen und der christlichen Gasse wird immer klaf 
fender und das geistige Blickfeld verengert sich zusehends. Der un 
bezwingbare Geist der Nation wirkt indessen in diesen engen Schran 
ken unentwegt weiter fort und führt einen immer höher ragenden 
„Zaun um die Thora“ auf. Die Kraft der passiven Resistenz steigt ins 
Unermeßliche. Sogar die grauenvollsten Massengemetzel vermögen 
nicht zu einem Massenabfall vom Judentum zu führen: die Opfer sind 
unbeugsam, die Märtyrer gehen mutig in den Tod, ohne auch nur 
einen Augenblick an Rettung durch die Scheintaufe zu denken. In 
ruhigeren Zeiten trägt der deutsche Jude voll Demut das Joch der 
Rechtlosigkeit; er läßt sich wohl biegen, jedoch nicht brechen. 
Ein ganz anderes Bild bietet die spanische Judenheit. Von den 
Katastrophen des XIV. Jahrhunderts waren die spanischen Juden bis 
zu dem letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verschont geblieben. 
In Aragonien und Kastilien waren sie aus der bürgerlichen Gesell 
schaft noch nicht ausgestoßen. In Kastilien breitet sich die Schicht 
der jüdischen Granden aus, deren finanzielle Beziehungen zum Hofe 
ihnen auch zu politischem Einfluß verhelfen. Zwar gebrauchten sie 
diesen Einfluß nicht immer im Interesse ihres Volkes, doch konnten 
immerhin in einem Lande, wo einem Juden die Ministerwürde zugäng- 
1) „Ob die Pest wütete, um Tausende hinwegzuraffen, ob ein Erdbeben das 
Land heimsuchte — für alles büßte in den Flammen das jüdische Volk“ (ein 
Vers des Chronisten Fabricius).
	        
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