Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die kleineren Zentren und Kolonien im XIII. Jahrhundert 
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nur eine verwerfliche, sondern auch eine unkluge Gewohnheit, die 
alles Lächerliche an dem Menschen bloßstelle: „Solange der Topf 
nicht kocht, weiß keiner, was darin ist, sobald er aber aufbraust und 
überläuft, kommt alles zum Vorschein“. Zu einer Zeit, da die Kirche 
die Tugend der Armut verherrlichte, scheute sich der jüdische Mo 
ralist nicht, gerade in der Heimat der franziskanischen Bettelmönche 
die Vorzüge des Reichtums hervorzuheben, der Muße für geistige 
Arbeit gewähre und die Wohltätigkeit fördere: „Das Beste im Leben 
— so läßt er sich vernehmen — ist Wissen mit Reichtum gepaart: 
die Auserlesenen werden dich wegen dessen schätzen, was dein Kopf 
birgt, die Menge aber für das, was du in deiner Hand hast“. 
Trotz der Abneigung vieler italienischer Rabbiner gegen die Philo 
sophie und die weltlichen Wissenschaften konnte Italien dennoch von 
der allgemeinen geistigen Bewegung des Jahrhunderts nicht unberührt 
bleiben. Neben dem nordfranzösischen Einfluß machte sich hier eben 
auch die Einwirkung der spanisch-provenzalischen Aufklärungsbewe 
gung bemerkbar. Die Lehren des Maimonides bahnten sich namentlich 
nach Süditalien den Weg, wo in Neapel der bereits erwähnte Jakob 
Anatoli seine Tätigkeit entfaltete, dessen religionsphilosophische 
Sabbatvorträge unter den italienischen Orthodoxen so großen An 
stoß erregten (oben, § 16). Die von dem provenzalischen Aufklärer 
ausgestreute Saat fiel trotzdem nicht auf steinigen Boden. Schon um 
die Mitte des XIII. Jahrhunderts ersteht in Italien ein selbständiger 
Kommentator des „Führers“ des Maimonides, Moses aus Salerno. 
Unter dem Eindruck des zwischen den Maimonisten und ihren Geg 
nern in der Provence ausgefochtenen Kampfes, der mit der Verbren 
nung des „Führers“ endete (oben, § i3), entschloß sich der Gelehrte 
von Salerno, in der am heißesten umstrittenen Frage über die Anthro 
pomorphismen mit aller Entschiedenheit für die Maimonisten Partei 
zu ergreifen. Er bedauerte aufs tiefste die Ignoranz der Massen, „die 
sich Gott in Menschengestalt, mit Augen, Händen und Füßen vor 
stellen und jeden vernünftig denkenden Menschen, der zu behaupten 
wagt, daß man die scheinbare Materialisierung der Gottheit in der 
Schrift nicht wörtlich verstehen dürfe, als gottlos erachten“. Die Anti 
maimonisten hätten sich an dem Andenken des großen Denkers schwer 
versündigt: hat er doch „einen Festungswall um die Thora errichtet 
(den Kodex ,Mischne-Thora‘), Augen und Herz Israels erleuchtet und 
uns mit Beweggründen versehen, mit denen wir unsere Gegner,
	        
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