Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
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Christi symbolisierenden Teigoblate willen mit jüdischem Märtyrer 
blute tränkte. Von den Klagen der Gemarterten, in denen die Ent 
rüstung das jammervolle Flehen übertönte, erbebten die Mauern der 
Synagogen. In einem dieser Klagelieder („Ebke li’ksche-jom“) heißt 
es: „Beschmutztes Brot (die geschändete Hostie) gebrauchten sie als 
heimtückischen Yorwand, indem sie zu den Söhnen des heiligen aus 
erwählten Volkes sprachen: Ihr habt unseren Gott gestohlen und ihn 
in einem Mörser zerstoßen, bis das Blut zu fließen begann, das ihr 
dann unter all euren Kampfgenossen verteilen ließet 1“ Der Dichter 
zählt alle größeren von den Banden des Rindfleisch vernichteten Ge 
meinden auf: Röttingen, das „von Blut gerötete“ Rothenburg, Würz 
burg, Nürnberg — und ruft die Rache Gottes auf das „Land der 
Edomiter“ („Adomim“ = Rote) hernieder, „auf daß es von dem Blute 
seiner Fürsten und Mächtigen rot werde“. In allen anläßlich dieser 
Katastrophe gedichteten „Kinnoth“ wird betont, daß das Unheil ge 
rade im Jahre 58 des sechsten Jahrtausends der jüdischen Zeitrech 
nung hereingebrochen war, jenes messianischen Jahrtausends also, 
von dem das gemarterte Volk Befriedung sowie die Offenbarung der 
messianischen Wunder erhoffte (die Zahl 58 = N. Ch. bildet die 
Wurzel des hebräischen Wortes „Menucha“ [Ruhe]). Als Höhepunkt 
dieser Elegienfolge erscheint das als ein einziger langgedehnter Klage 
ruf ertönende Trauergedicht „Me kol ha’zon“, das gleichsam die 
Summe aller Märtyrerleiden des XIII. Jahrhunderts zieht und dessen 
Verfasser, wie aus dem Akrostichon zu ersehen ist, ein gewisser Moses 
ben Eleasar ha’Kohen war: 
„0 Himmel, sind wir denn schlimmer als andere Völker? Ist denn unsere 
Widerstandskraft gleich der eines Steines oder aus Erz unser Fleisch, daß wir so 
schweres Unheil ertragen sollen? ... 0 Erde, nimm unser Blut nicht auf, und 
möge das ganze Erdenrund von unserem Klagegeschrei widerhallen, von Klagen 
über unsere bösen Nachbarn, über die Bedrücker, die uns voll Haß zurückstießen 
. . . Zerfleischt haben uns ehemals Löwe und Bär, es würgte unsere Kinder der 
wütende Tiger, es biß uns heimtückisch die zischende Schlange, nun aber zerfetzt 
uns das Schwein, das uns mit seiner Last erdrücket . . . Schon tausendzweihundert- 
unddreißig Jahre sind vorbei, seit der Feind uns verheeret (Zerstörung Jerusa 
lems), und noch würgt er uns mit seinen scharfen Krallen. Alle nur möglichen To 
desqualen ersinnt er, um uns zu vernichten: zum Schwerte greift er, zu Feuer 
und Wasser. Verbrannt und geschlachtet werden klein wie groß, Frauen und Kin 
der, Greise und Jünglinge, Bräute und Bräutigame . . . Fraget alle, die auf der 
Erde wandeln: hat je ein Volk solches zu erleiden gehabt? (Hier folgt eine er 
schütternde Schilderung der Gemetzel in Würzburg, Rothenburg und Nürnberg) 
. . . Wehe uns auch in dem sechsten Tausend (der Welt), denn nun hat es uns
	        
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