§ 25. Die Gemeindeverfassung und der Rabbinismus
ten juristischen und rituellen Fragen bieten. Die Rechtsentscheidun
gen der gelehrten deutschen Rabbiner sind denn auch von der raf
finierten Tossafistendialektik ganz durchdrungen. Der Pflege dieser
Schultradition widmeten sich hier namentlich die drei bedeutendsten
rabbinischen Autoritäten des XIII. Jahrhunderts: Isaak Or-Sarua aus
Wien, Meir ben Baruch aus Rothenburg und Ascher ben Jechiel oder
Rosch, der später aus Deutschland nach Spanien übersiedelte.
Rabbi Isaak (um 1180—1260) führte in seinen Jugendjahren
das Leben eines wandernden Scholaren. Aus Böhmen gebürtig und
ein Zögling der Talmudschulen von Prag und Regensburg, studierte
er später auf den Jeschiboth der rheinländischen und nordfranzösi
schen Tossafisten, hielt sich um 1220 in Paris auf, um sodann das
Rabbineramt in Würzburg, in Regensburg und endlich in Wien zu
bekleiden. Als vielgereister Mann war Rabbi Isaak mit dem Leben
und den Bräuchen der Juden der verschiedensten Länder aufs innigste
vertraut, was auch seinem umfangreichen Werke „Or Sarua" („Das
verbreitete Licht") in hervorragendem Maße zugute kam. Dieses
Werk, dessen Volkstümlichkeit so weit ging, daß die Nachwelt sei
nen Titel dem Verfasser als Beinamen zulegte, stellt eine Zwischen
form zwischen einem Halachothkodex und einem Talmudkommentar
dar. Die Darlegung lehnt sich an die Reihenfolge der Talmudtraktate
an, doch ist das Augenmerk des Verfassers stets auf eine Verwertung
seiner Interpretationen für die religiöse oder juristische Praxis ge
richtet. Stellenweise ist in den Text der gelehrte Briefwechsel des
Verfassers mit den deutschen, österreichischen, französischen und ita
lienischen Rabbinern eingeflochten. Gar häufig nimmt Rabbi Isaak
auf sein eigenes Heimatland, „Kanaan", d. h. das slawische Böhmen,
Bezug; er gibt für viele hebräische Wörter ihre Übersetzung in die
„kanaanäische“ oder slawische Sprache an, die wohl die Umgangs
sprache der böhmischen Juden war; manchmal erwähnt er auch die
jüdischen Gemeinden in dem benachbarten Polen und Rußland. So
tritt uns Isaak Or-Sarua als einer der ersten Aufklärer der slawischen
Judenheit entgegen, der im Osten das „Licht" der westlichen Gelehr
samkeit verbreitete. Auch in seinen letzten Lebensjahren, als er den
Rabbinerposten in Wien bekleidete, blieb Rabbi Isaak nach wie vor
in Fühlung mit den jüdischen Gemeinden Böhmens, das um jene Zeit
unter dem Zepter Ottokars II. mit Österreich vereinigt war.
Zu noch höherem Ansehen als R. Isaak gelangte sein Jünger,