Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 25. Die Gemeindeverfassung und der Rabbinismus 
ten juristischen und rituellen Fragen bieten. Die Rechtsentscheidun 
gen der gelehrten deutschen Rabbiner sind denn auch von der raf 
finierten Tossafistendialektik ganz durchdrungen. Der Pflege dieser 
Schultradition widmeten sich hier namentlich die drei bedeutendsten 
rabbinischen Autoritäten des XIII. Jahrhunderts: Isaak Or-Sarua aus 
Wien, Meir ben Baruch aus Rothenburg und Ascher ben Jechiel oder 
Rosch, der später aus Deutschland nach Spanien übersiedelte. 
Rabbi Isaak (um 1180—1260) führte in seinen Jugendjahren 
das Leben eines wandernden Scholaren. Aus Böhmen gebürtig und 
ein Zögling der Talmudschulen von Prag und Regensburg, studierte 
er später auf den Jeschiboth der rheinländischen und nordfranzösi 
schen Tossafisten, hielt sich um 1220 in Paris auf, um sodann das 
Rabbineramt in Würzburg, in Regensburg und endlich in Wien zu 
bekleiden. Als vielgereister Mann war Rabbi Isaak mit dem Leben 
und den Bräuchen der Juden der verschiedensten Länder aufs innigste 
vertraut, was auch seinem umfangreichen Werke „Or Sarua" („Das 
verbreitete Licht") in hervorragendem Maße zugute kam. Dieses 
Werk, dessen Volkstümlichkeit so weit ging, daß die Nachwelt sei 
nen Titel dem Verfasser als Beinamen zulegte, stellt eine Zwischen 
form zwischen einem Halachothkodex und einem Talmudkommentar 
dar. Die Darlegung lehnt sich an die Reihenfolge der Talmudtraktate 
an, doch ist das Augenmerk des Verfassers stets auf eine Verwertung 
seiner Interpretationen für die religiöse oder juristische Praxis ge 
richtet. Stellenweise ist in den Text der gelehrte Briefwechsel des 
Verfassers mit den deutschen, österreichischen, französischen und ita 
lienischen Rabbinern eingeflochten. Gar häufig nimmt Rabbi Isaak 
auf sein eigenes Heimatland, „Kanaan", d. h. das slawische Böhmen, 
Bezug; er gibt für viele hebräische Wörter ihre Übersetzung in die 
„kanaanäische“ oder slawische Sprache an, die wohl die Umgangs 
sprache der böhmischen Juden war; manchmal erwähnt er auch die 
jüdischen Gemeinden in dem benachbarten Polen und Rußland. So 
tritt uns Isaak Or-Sarua als einer der ersten Aufklärer der slawischen 
Judenheit entgegen, der im Osten das „Licht" der westlichen Gelehr 
samkeit verbreitete. Auch in seinen letzten Lebensjahren, als er den 
Rabbinerposten in Wien bekleidete, blieb Rabbi Isaak nach wie vor 
in Fühlung mit den jüdischen Gemeinden Böhmens, das um jene Zeit 
unter dem Zepter Ottokars II. mit Österreich vereinigt war. 
Zu noch höherem Ansehen als R. Isaak gelangte sein Jünger,
	        
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