Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
§ 25. Die Gemeindeverfassung und der Rahbinismus 
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In der deutschen Gesetzgebung des XIII. Jahrhunderts waren 
Rechte und Pflichten der jüdischen Gemeinde durchaus nicht so ge 
nau umschrieben wie in den spanischen Gesetzen aus der gleichen 
Zeitperiode (oben, §§ 11 und i3). Die deutschen Machthaber waren 
noch nicht auf den Gedanken gekommen, die Gemeinden, ja ganze 
Gemeindeverbände in ein Werkzeug des Fiskus und der Finanzpoli 
tik zu verwandeln. Zwar hatte der Gemeinderat die an den König 
oder Feudalherrn abzuführenden gewöhnlichen und außerordent 
lichen Steuerlasten unter die Gemeindemitglieder zu verteilen und 
war für deren pünktlichen Eingang voll verantwortlich 1 ), doch hiel 
ten sich die Herrscher von jeder Einmischung in die inneren Ange 
legenheiten der autonomen Gemeinde durchaus fern. Das Bestehen be 
sonderer jüdischer Stadtviertel, das Amtieren der „Judenbischöfe“ und 
Rabbiner, das Funktionieren des autonomen Gerichtes und der anderen 
Gemeindeinstitutionen — dies alles nahmen die herrschenden Mächte 
einfach als Tatsache hin. Zivilrechtliche Sachen durften von Juden 
entweder vor dem rabbinischen Gericht oder vor dem eigens dazu 
ernannten „königlichen Richter“ (judex Judaeorum) ausgetragen wer 
den; soweit beide Parteien einverstanden waren, konnte das rabbini- 
sche Gericht vermögensrechtliche Streitsachen auch zwischen Juden 
und Christen schlichten. 
Das zeitgenössische rabbinisehe Schrifttum gewährt uns einen Ein 
blick auch in die inneren Verhältnisse der deutschen Gemeinden. Die 
Vorsteher der Gemeinde oder die Gemeinderäte wurden von allen 
steuerpflichtigen Gemeindemitgliedern gewählt. Der Wahlkampf 
führte manchmal zu einer förmlichen Spaltung; hierbei spitzten sich 
die Gegensätze zuweilen dermaßen zu, daß die unterlegene Partei den 
Beistand der christlichen Ortsbehörden anrief. Indessen kamen solche 
Fälle nur als seltene Ausnahme vor, da dies als Verrat gegen das Prin 
zip der Selbstverwaltung angesehen und einer Denunziation gleich er 
achtet wurde. Als der Kölner Erzbischof einst einem Anwärter auf 
das Chasanamt aus eigener Machtvollkommenheit zu diesem Posten 
1) In dem amtlichen rabbinischen Schriftwechsel jener Zeit (in den „Re- 
sponsen'j treten uns Erwägungen und Entscheidungen über Steuerverteilung sowie 
über die gegenseitigen Beziehungen von Gemeinden, Steuerzahlern und Behörden 
überaus häufig entgegen. (S. z. B. die „Teschuboth“ des R. Meir von Rothen- 
bürg.)
	        
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