Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
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den ausgedehnt wurden. Der im Jahre 12 54 zwecks Aufrechterhal 
tung der öffentlichen Sicherheit begründete Rheinische Städtebund, 
dem außer den Städten Mainz, Worms, Köln, Speyer, Straßburg, 
Basel u. a. die rheinländischen Bischöfe und Grafen beitraten, ver 
pflichtete sich, die Wohltaten des Landfriedens nicht nur den Vor 
nehmen, sondern auch den schlichten Bürgern und auch den Juden 
angedeihen zu lassen. Dafür mußten aber die jüdischen Gemeinden 
zur Aufrechterhaltung des Landfriedens auch ihren Anteil beisteuern. 
Im Jahre 1265, während der schlimmsten Wirren des „großen Inter 
regnums“, schlossen die Erzbischöfe und Grafen sowie die Vertreter 
der Bürgerschaft von Frankfurt, Friedberg und Wetzlar auf die 
Dauer von drei Jahren einen Landfriedensvertrag miteinander, in dem 
es unter anderem hieß: „Angesichts dessen, daß in vielen Städten 
zügellose Menschen sich vermessen, gegen den Willen Gottes, um 
dessen Martertodes willen und der Erinnerung an ihn die heilige Kirche 
die Juden am Leben erhält, sowie zum Nachteil des Kaiserreiches und 
seiner Schatzkammer Ruhe und Ordnung zu verletzen und den Juden 
allerlei Beleidigungen zuzufügen, ja sie zuweilen in unmenschlichster 
Weise niederzumetzeln, ist die Bestimmung getroffen, daß jeder, der 
solcher Freveltaten oder Quälereien überführt wird, wegen Land 
friedensbruchs bestraft werden soll“. In der Tat waren in jenen Jah 
ren Judenhetzen stets an der Tagesordnung. In den synagogalen Mar- 
tyrologicn sind von 1264—1267 die Namen vieler jüdischer Mär 
tyrer aus Koblenz, Sinzig und anderen rheinländischen Städten ent 
halten. Besonders grauenvoll war das Gemetzel in Sinzig, wo in der 
angezündeten Synagoge 72 Juden in den Flammen umkamen. Den 
Anlaß zu den blutigen Hetzen gab nicht selten die Ritualmordlüge. 
So wurden in der elsässischen Stadt Weißenburg sieben Juden wegen 
angeblicher Ermordung eines christlichen Kindes aufs Rad gefloch 
ten (1270); unter den Märtyrern befanden sich auch zwei zum Ju 
dentum übergetretene Christen, von denen der eine vor seiner Be 
kehrung „Prior der Barfüßler“, d. i. des Mönchsordens der Bettel 
brüder, war. Es mag sein, daß der Prozeß von den dominikanischen 
Inquisitoren ausschließlich aus Rachsucht gegen die zwei Abtrünni 
gen inszeniert worden war und daß die Ritualmordlüge hierbei nur 
als bequemer Vorwand diente. 
Zu zügellosen Ausschweifungen wurde die Volksphantasie durch 
den wilden Aberglauben auch in der badischen Stadt Pforzheim an
	        
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