Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 21. Die Ritualmordlüge und der päpstliche Protest 
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Judentums gerieten. Darum ließ auch Innocenz IY. im Jahre 1254, 
als er davon Kenntnis erhielt, daß sich die Juden der Konstanzer 
Diözese von den Christen in ihrer Tracht nicht unterschieden, an den 
dortigen Bischof den Befehl ergehen, diesen Mißstand unverzüglich 
abzustellen, damit jeder Verkehr zwischen Juden und Christen, 
namentlich zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, den Bestim 
mungen der Lateransynode gemäß unterbunden werde. 
Im Jahre 1241 hatte die jüdische Bevölkerung mehrerer deutscher 
Städte aus einem besonderen Anlaß sorgenvolle Tage durchzumachen. 
Die deutsche Ostmark (die Gegend von Breslau) wurde plötzlich 
durch eine Invasion mongolischer Horden heimgesucht, die bereits 
vorher Rußland und einen Teil Polens verheert hatten. Im Volke ver 
breitete sich nun das Gerücht, daß die eingedrungenen asiatischen 
Völkerschaften mit den Juden verwandt und von diesen zum Sturz 
der christlichen Gewalt nach Deutschland berufen worden seien. Die 
christliche Chronik (des Matthäus von Paris) will sogar wissen, daß 
Grenzwächter eines Tages bei jüdischen Kaufleuten in Weinfässern 
für die Mongolen bestimmte Waffen entdeckt hätten, worauf die jü 
dischen Händler zum Teil hingerichtet, zum Teil ins Gefängnis ge 
worfen worden seien. Das im Volke verbreitete Gerücht scheint mit 
jener messianischen Erregung in Zusammenhang gestanden zu haben, 
die sich um diese Zeit der europäischen Judenheit bemächtigt hatte. 
Viele hegten nämlich den Glauben, daß mit dem Jahre 12^0, das dem 
Jahre 5ooo der jüdischen Zeitrechnung entsprach, die Ära der Er 
lösung Israels anbrechen werde, da sich nach der talmudischen Über 
lieferung im sechsten Jahrtausend der Welt das messianische Zeit 
alter bereits vollenden müßte. Die Invasion wildfremder asiatischer 
Völkerschaften, die halb Europa unter ihre Gewalt gezwungen hatten, 
rief in den Juden die Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung 
mit ihren östlichen Brüdern und auf die Befreiung des Heiligen Lan 
des von dem christlich-muselmanischen Joche wach. Diese den Chri 
sten nicht entgangene dumpfe Bewegung wird in einer deutschen 
Chronik („Gesta Trevirorum“) mit folgenden Worten erwähnt: „Die 
Juden sind von großer Freude ergriffen, da sie im Jahre 1241 seit 
der Leibwerdung unseres Herrn das Erscheinen ihres Messias und 
ihre Befreiung erhoffen“. Indessen sollten all diese Illusionen an der 
traurigen Wirklichkeit restlos zerschellen. Noch im selben Jahre be 
kam die jüdische Gemeinde der kaiserlichen Stadt Frankfurt am Main
	        
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