Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 21. Die Ritualmordlüge und der -päpstliche Protest 
nachteiligen Konzilbeschlüsse in die Tat um. Diese von Rechts wegen 
angeordneten Repressalien waren aber noch lange nicht das Schlimm 
ste: viel unheilvoller waren die illegalen Wühlereien der dunk 
len Mächte, die über die Juden die wildesten, auf den Volksaberglau 
ben berechneten Gerüchte aussprengten. Um jene Zeit sickerte nämlich 
nach Deutschland aus undurchsichtigen verpesteten Quellen (wohl 
im Zusammenhang mit der Stiftung des Dominikanerordens und des 
„Sanctum officium“ der Inquisition) das tödliche Gift der „Rlutlüge“ 
durch: bald hier, bald dort kamen Gerüchte in Umlauf, die Juden 
hätten zu geheimnisvollen rituellen Zwecken christliche Kinder er 
mordet. Die fadenscheinigen Anschuldigungen mußten die Schuld 
losen auf den Richtplätzen mit ihrem Leben bezahlen. Im jüdischen 
Martyrologium füllte sich eine neue Seite. 
§ 21. Die Ritualmordlüge und der päpstliche Protest 
Im Jahre 12 35 tauchte gleichzeitig an verschiedenen Orten 
Deutschlands, gleichsam wie auf Verabredung, die für so viele Juden 
zum Verhängnis gewordene Ritualmordlüge auf 1 ). Auf Grund sol 
cher Anschuldigungen fanden in den zwei benachbarten Städten 
Lauda und Bischofsheim einige Mitglieder der jüdischen Gemeinden 
ihr Ende auf dem Schafott. Durch ein besonders düsteres Trauerspiel 
ist das Ende dieses Jahres gekennzeichnet. In der Umgegend der Stadt 
Fulda wurde am Heiligen Abend das Haus eines Müllers in seiner und 
der Müllerin Abwesenheit niedergebrannt, wobei ihre fünf Kinder in 
den Flammen umkamen. In der Stadt trieb sich um jene Zeit eine 
Bande von Kreuzfahrern herum, unter denen der Schuldige vielleicht 
am leichtesten hätte ermittelt werden können. Der Volksaberglaube 
f) Eine alte deutsche Chronik berichtet, daß in Erfurt schon im Jahre 1221 
sechsundzwanzig Juden „infolge eines ausgebrochenen Aufruhrs“ (orta seditione) 
von friesischen Kaufleuten und ortsansässigen Christen erschlagen worden seien; 
aus den synagogalen Aufzeichnungen und Elegien ist indessen zu entnehmen, daß 
der „Aufruhr“ irgendwie mit einem Ritualmordprozeß zusammenhing. Der Verfasser 
einer der Elegien, Salomo ben Abraham, legt gegen die niederträchtige Verleum 
dung in folgenden beredten Worten Verwahrung ein: „Es lügen, die da sagen, 
daß wir Menschenfresser seien. Vielmehr sind sie es (die Christen), die uns ver 
zehren, unser Fleisch und Blut fressen“. Jedoch sind die beiden Quellen noch 
immer nicht in Einklang miteinander gebracht und so bleibt die Erfurter Kata 
strophe in Dunkel gehüllt. Vgl. Aronius, Regesten, Nr. 413 und die hebräischen 
Elegien in den Martyrologien von Bernfeld, B. I, S. 2Ö5f. 
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