Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
verband man hier mit dieser „Knechtschaft“, im Gegensatz zu den 
westlichen Ländern, wo die Könige die Hörigen des Handels nach Be 
lieben ausbeuteten, um sie dann aus dem Lande zu vertreiben, weniger 
das Recht der souveränen Gewalt, die Juden auszubeuten, als die Ver 
pflichtung, ihnen Fürsorge und Schutz angedeihen zu lassen. In der 
deutschen Öffentlichkeit jener Zeit war nämlich die Auffassung ver 
breitet, daß den römisch-deutschen Kaiser schon sein Titel mit einer 
geschichtlichen Mission betraue: mit der Bevormundung des einstmals 
von dem antiken Rom besiegten Volkes (Band IV, § 37). Im „Sachsen 
spiegel“, dem damals so volkstümlichen Rechtsbuch, wurde diese Auf 
fassung mit der folgenden geschichtlichen Sage begründet: nachdem 
Josephus Flavius den Bezwinger Jerusalems, Titus, einst von einem 
schweren Siechtum geheilt hatte, gelobte sein Vater, der Kaiser Vespa- 
sian, den Juden stets ein treuer Beschützer zu sein. Der „Schwaben 
spiegel“ wußte überdies noch zu erzählen, daß Titus nach der Ein 
nahme Jerusalems viele der von ihm gefangen genommenen Judäer 
mitsamt ihren Kindern und Kindeskindern dem römischen Hofe über 
eignet hätte; seitdem seien sie denn auch zu „Knechten des Reiches“ 
geworden. Hieraus wurde nun gefolgert, daß die deutschen Kaiser, 
die ihre Gewalt von Karl dem Großen und also mittelbar von dessen 
altrömischen Vorgängern geerbt hätten, von Rechts wegen Eigentümer 
und Vormünder aller innerhalb der Reichsgrenzen verstreuten Juden 
seien. 
Und in der Tat erachteten es die Kaiser seit derZeit der Kreuzzüge 
als ihre offizielle Pflicht, die Juden vor Überfällen des christlichen 
Pöbels zu beschützen und ihnen ihre dürftigen Rechte sowie die Frei 
heit ihrer Gemeindeselbstverwaltung zu verbürgen, wofür die gekrön 
ten Protektoren bestimmte Abgaben erhoben. Da es indessen den Kai 
sern aus den bereits erwähnten Gründen nicht möglich war, sich mit 
den Angelegenheiten der inneren Verwaltung näher zu befassen, so 
pflegten sie an vielen Orten, namentlich in den Städten mit größerer 
jüdischer Bevölkerung, ihr „jüdisches Regal“ den Lehensherren und 
vor allem den Bischöfen zu überlassen; in solchen Fällen zahlte der 
geistliche Lehensherr dem Kaiser die Gesamtsumme der von der be 
treffenden Gemeinde während einer bestimmten Frist zu erhebenden 
Steuern, die er dann seinerseits bei den ihm unterstellten Juden mit 
großem Nutzen eintrieb. In Zeiten schwerer Geldnot kam es nicht sel 
ten vor, daß der Kaiser oder sein Stellvertreter die jüdische Gemeinde 
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