Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 18. Kabbala und messianische Schwärmerei 
Ausdruck nur den Eingeweihten faßbare Erkenntnisse entdecken, die 
sie ihrerseits auf mysteriöse, angeblich aus der Zeit der Erzväter 
und Moses’ stammende Überlieferungen zurückführten. 
Der Kabbala des XIII. Jahrhunderts lag als unverrückbare Voraus 
setzung das schon von Philo eingeführte Prinzip der Emanation zu 
grunde. Nach der Lehre der Kabbala ist Gott der „En-Sof“, das Un 
endliche, das unerfaßbare, aller konkreten Attribute bare Urwesen, 
das sich nur in seinen Schöpfungswerken offenbart. Eine solche ab 
strakte, jeder Materialität entbehrende Macht habe indessen die ma 
terielle Welt nicht unmittelbar erschaffen können, weshalb zwischen 
dem En-Sof und der wahrnehmbaren Welt zehn vermittelnde schöpfe 
rische Kräfte oder Sefiroth eingeschaltet seien („Sefira“ bedeutet 
„Zahl“ im Sinne der alten, im „Sefer Jezira“ entwickelten Zahlen 
mystik und ist seinem Klang, zum Teil auch seinem Sinne nach, mit 
den himmlischen „Sphären“ des Aristoteles verwandt). Zunächst sei 
aus Gott auf dem Wege der Emanation oder Ausstrahlung die erste 
Sefira hervorgegangen, aus der ersten dann die zweite und so weiter 
bis zur zehnten. Diese zehn Sefiroth, Gott ähnlich, jedoch nicht 
wesensgleich, stünden der sichtbaren Welt näher als ihr erster Ur 
heber. Sie seien es, die die Welt erschaffen hätten und sie lenkten, 
wobei eine jede von ihnen ihre besondere Funktion zu erfüllen habe. 
Die symbolischen Bezeichnungen für die Sefiroth in ihrer kabba 
listischen Rangordnung sind die folgenden: Krone, Vernunft, An 
schauung, Liebe (oder Barmherzigkeit), Macht, Schönheit, Festigkeit, 
Pracht, Urgrund und endlich das Reich (Herrrschaft). Die ersten drei 
Sefiroth seien für die höchste geistige Weltordnung bestimmend: für 
die Vernunft, die Prophetie oder die göttliche Offenbarung; die vierte, 
fünfte und sechste für die sittliche Weltordnung und die letzten vier 
für die Welt der Sinne. Die drei Gruppen entsprächen zugleich den 
drei Stufen des Schöpfungswerkes: dem Erkennbaren, dem Wahr 
nehmbaren und dem Materiellen (Muskal, Murgasch, Mutbaa). Ver 
mittels der Sefiroth werde die Gottheit unserer sinnlichen Wahrneh 
mung gleichsam erfaßbar. Wenn es in der Bibel heißt: „Gott sprach“, 
„stieg auf die Erde herab“, „fuhr gen Himmel“, so bezöge sich dies 
nicht auf den unergründlichen „En-Sof“ selbst, sondern nur auf die 
von ihm ausgestrahlten Sefiroth. Das Geheimnis des Gebetes bestände 
darin, daß der Mensch durch seine Inbrunst auf die eine oder andere 
der Sefiroth einzuwirken vermöge, da jedes Wort des Gebetes in den
	        
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