Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
mus unersetzliche Dienste geleistet: sie hätte den Gottesbegriff von 
allem sinnlichen Beiwerk gesäubert sowie dem Prinzip der Willens 
freiheit und der sittlichen Verantwortung des Menschen höchste Gel 
tung verschafft. Eine von Philosophie und Wissenschaft nicht er 
leuchtete Religion würde zu rohestem Aberglauben ausarten. Zum 
Schluß betonte Jedaja mit allem Nachdruck, daß es nie und nimmer 
gelingen werde, die freie Wissenschaft durch Maßregelungen ver 
stummen zu lassen. „Möge nur Josua ben Nun (eine Anspielung auf 
Raschba) die Wissenschaft verdammen, man wird ihm dennoch nicht 
Folge leisten, denn das Volk hängt mit viel tieferer Verehrung an 
Moses (Maimonides) und an seiner Lehre und ist bereit, sich für die 
ses Heiligtum mit Leib und Seele einzusetzen, um es auch den künf 
tigen Generationen als ungeschmälertes Erbe hinterlassen zu können“. 
Der Kampf zwischen den Verteidigern und den Gegnern der Ge 
dankenfreiheit drohte immer bedenklichere Formen anzunehmen, als 
die französischen Juden plötzlich von einem schweren Unheil heim 
gesucht wurden, das sie allen Parteihader zurückstellen ließ: genau 
ein Jahr, nachdem in Barcelona und Montpellier der Cherem und 
Gegencherem proklamiert worden waren, gab nämlich Philipp der 
Schöne den Befehl, die Juden restlos aus Frankreich zu vertreiben. 
Von diesem Schlage wurden, wie erwähnt, auch die jüdischen Gemein 
den von Languedoc und der Provence betroffen, mit Ausnahme der 
jenigen, die zu dem Besitzstand des aragonischen Königs Jakob II. 
gehörten. Die jüdischen Zentren in Narbonne, Beziers, Lunel und an 
deren Städten wurden völlig zerstört. Dem gleichen Los verfiel auch 
die Gemeinde von Montpellier, der Hauptschauplatz des Kulturkamp 
fes, die um jene Zeit unter der Oberhoheit des französischen Königs 
stand (oben, § i3). Über das den dortigen Juden zugestoßene Miß 
geschick wie über sein eigenes erfahren wir von dem uns als Urheber 
des unseligen Bruderzwistes bekannten Abba-Mari: „Im Jahre 5o66 
(i3o6) haben es die himmlischen Mächte um unserer Sünden willen 
bestimmt, daß ein Befehl des französischen Königs kundgetan werde, 
wonach alle Juden ihres Besitzes beraubt, aus ihren Häusern vertrie 
ben und aus dem Königreiche ausgewiesen werden sollten. Alle, jung 
und alt, Frauen und Kinder, wurden zunächst am Sonntag, dem 16. 
Ab in Haft genommen, um sodann aus dem Lande verbannt zu werden. 
Aus der Stadt Montpellier wurden die Juden im Monat Marchesch 
wan des Jahres 6 (Oktober i3o6) ausgewiesen. Ein Teil von ihnen
	        
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