Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
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müßte ja auch den Ärzten davon etwas bekannt sein. Ein anderer ver- 
stieg sich zu der Behauptung, die Tefillin (Gebetriemen) würden ein 
zig und allein zu dem Zwecke um Haupt und Oberarm gebunden, da 
mit der Mensch beim Anblick dieser in der Nähe der Organe des Den 
kens und des Gedächtnisses, des Gehirns und des Herzens, getragenen 
Ritualien sich an Gott erinnere (so daß der wahrhaft Fromme sie 
wohl entbehren könne)“. Die Parteigänger solcher ketzerischen An 
sichten sollten nun als verflucht, als aus der Gemeinschaft ausge 
stoßen und zu ewigen Höllenqualen verdammt gelten; ihre Werke 
wurden mit den Zauberbüchern in eine Reihe gestellt und zur Ver 
brennung verurteilt. Beide Cheremtexte 1 ) wurden von Barcelona aus 
allen Gemeinden Spaniens und Frankreichs zugeschickt, damit sie 
nach diesem Vorbild auch ihren Mitgliedern den Bannfluch verkün 
deten. 
Um den verhängten Cherem unwirksam zu machen, proklamierte 
die von Jakob Tibbon geführte Aufklärerpartei in Montpellier einen 
Gegencherem gegen alle diejenigen, die sich anmaßen sollten, Mai- 
monides zu verketzern oder irgendeinen anderen rechtgläubigen 
Schriftsteller um seiner philosophischen Lehren willen zu schmähen, 
wie auch gegen die, die junge Leute am Studium der Naturkunde 
und der Religionsphilosophie zu behindern trachteten. Auch der Ge 
gencherem ward der Öffentlichkeit mit aller Feierlichkeit mitgeteilt. 
Mit Absicht setzten die Protestierenden an die Spitze ihrer Prokla 
mation den Namen des Maimonides, um dem Volke vor Augen zu füh 
ren, daß der Feldzug der Dunkelmänner auch gegen den großen 
Meister gerichtet sei, den jetzt sogar die Orthodoxen nicht mehr offen 
anzugreifen wagten. Der geschickte Gegenzug verfehlte auch nicht 
seinen Zweck und viele schlossen sich dem Gegencherem an. Darüber 
tiinaus wurde der Versuch gemacht, auch die christlichen Behörden 
in den Parteikampf hineinzuziehen. Einflußreiche Männer aus der 
Gefolgschaft des Jakob Tibbon, die zu dem Stadthaupt von Mont 
pellier freundschaftliche Beziehungen unterhielten, wandten sich näm 
lich an diesen mit der Bitte, ihnen bei der Durchführung der drei 
Punkte des Gegenbannes Beistand zu leisten; der Stadthauptmann er 
1) Der ersle Cherem (vollständig in den Responsen des Raschba, Nr. 4*5 
und 417 abgedruckt) ist von Raschba und 36 Notabein von Barcelona unter 
zeichnet, der zweite (im „Minchath Kenaoth“ zu finden) trägt hingegen nur 
zwölf Unterschriften, die des Raschba mit einbegriffen.
	        
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