Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§17. Der Kampf gegen weltliche Wissenschaft 
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mein de untersagt, irgendeinen Juden vor Erreichung des erwähnten 
Alters in diese Wissenschaften einzuweihen, auf daß sie ihn nicht von 
der über alle solche Wissenschaften erhabenen Thora Israels abbräch 
ten. Es geht nicht an, das auf Einbildung und sinnliche Wahrneh 
mung gegründete menschliche Wissen mit der Allwissenheit Gottes in 
eine Reihe zu stellen. Der staubgeborene Mensch darf sich nicht an 
maßen, seinen Schöpfer zu beurteilen und etwa zu sagen: dies vermag 
Er zu vollbringen, jenes aber nicht, denn die Frucht einer solchen 
Gesinnung ist die völlige Abwendung vom Glauben. Von dieser Ver 
ordnung ist nur das Studium der Medizin ausgenommen, wiewohl 
auch sie sich auf Naturkunde gründet, weil die Thora die Ausübung 
der ärztlichen Kunst ausdrücklich gestattet“. 
Der Wortlaut dieses Gherem weicht in manchen Einzelheiten von 
dem ursprünglich geplanten Text ab, da er auf dem Wege eines Kom 
promisses zwischen den gemäßigten und den extremen Orthodoxen 
festgelegt worden war: so ist die Altersgrenze für das Studium der 
Philosophie von dreißig auf fünfundzwanzig Jahre herabgesetzt; die 
Gültigkeitsdauer des Verbotes ist auf fünfzig Jahre beschränkt; fer 
ner ist auch die Kategorie der verbotenen Bücher streng umschrieben: 
als solche gelten ausschließlich naturwissenschaftliche und theologi 
sche Werke griechischen Ursprungs. Zugleich mit diesem Gherem 
wurde aber im Namen des Raschba und seines Kollegiums ein erwei 
terter Text veröffentlicht, der sich auch noch auf die Interpreten der 
Bibel in philosophisch-allegorischem Geiste erstreckte: „Sie behaupten 
— so hieß es unter anderem in dieser Kundgebung — alles, vom Be 
richt über die Weltschöpfung bis zu dem über die Verkündigung der 
Sinaigebote, sei nur ein Gleichnis (eine Allegorie, ein Symbol), Abra 
ham und Sara seien Symbole der Materie und der Form, die zwölf 
Söhne Jakobs die zwölf Gestirne usw. Sogar die Gesetze lassen sie 
nicht unangetastet, indem sie zu beweisen suchen, ,Urim und TuminT 
(das Orakel der Hohepriester im alten Tempel) seien ein jetzt „Astro 
labium 4 genanntes Instrument gewesen; von Moses behaupten sie, er 
sei nur ein Gesetzgeber gewesen, der Gebote und Verhaltungsmaß 
regeln für das Volk ausgearbeitet, ihm aber keineswegs eine vom 
Himmel empfangene Thora überliefert habe. Einer von ihnen (den 
Ketzern) ließ sich sogar in einer Synagogenpredigt in ein Rätselraten 
darüber ein, warum Moses den Genuß des Schweinefleisches verboten 
hätte: sollte es seiner Unbekömmlichkeit wegen gewesen sein, so
	        
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