Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
drei unerschütterlichen Dogmen: auf dem der Einheit und Unkörper 
lichkeit Gottes, der göttlichen Weltschöpfung und der Weltregierung. 
Der Heide Aristoteles, meinte er, hätte mit seinem menschlichen Ver 
stände nur die eine dieser Grundwahrheiten erfaßt: das Dasein und 
die Einheit Gottes, ohne jedoch die zwei anderen ergründen zu kön 
nen. Angesichts der Beharrlichkeit der Weltordnung hätte er nämlich 
geglaubt, daß die Welt nicht durch den Willen Gottes erschaffen sei, 
sondern seit Urewigkeit existiere und daß die göttliche Regierung 
oder Vorsehung sich nur auf die höchsten Himmelssphären, nicht aber 
zugleich auch auf das irdische Menschengeschlecht erstrecke. Indessen 
sei schon der leiseste Zweifel an diesen zwei Dogmen für das gesamte 
Religionsgebäude fatal: treten doch nach dieser Auffassung an die 
Stelle des Schöpfers und des Weltlenkers, der die Menschen zu jener 
sittlichen Vollkommenheit führe, die nur durch die Befolgung der 
Israel zuteil gewordenen Gebote erreichbar sei, wesenlose, unpersön 
liche Naturmächte. So könnten sich diese beiden Weltanschauungen 
nie vertragen und müßten immerdar in Fehde miteinander liegen. 
Darum gelte es, ohne Aufschub außerordentliche Maßnahmen zu er 
greifen, damit die philosophische Ansteckungsgefahr sich nicht noch 
weiter ausbreite und namentlich nicht auf die Jugend, die unreifen 
Geister, übergreife, in deren Köpfen die neuen Ideen die schwersten 
Verheerungen anrichten könnten. 
In seiner schweren Sorge um die Zukunft des Judaismus suchte 
sich Abba-Mari in den bevorstehenden Kämpfen des Beistandes des 
Rabbiners von Barcelona Raschba zu versichern, der um jene Zeit als 
höchste geistliche Autorität galt. Im Jahre i3o3 sandte Abba-Mari 
nach Barcelona ein Schreiben, in dem er unter Hinweis auf die dem 
Judaismus durch das Studium der Logik, der Naturwissenschaften 
sowie der Philosophie des Aristoteles und des Averroes erwachsenden 
Gefahren von dem „Führer der Generation“ ein entscheidendes Wort 
der Verdammung gegen die „Verderber der heiligen Überlieferun 
gen“ verlangte. Nun war Raschba eigentlich mit dem provenzalischen 
Eiferer ganz einer Meinung. In seinem Antwortschreiben gibt er denn 
auch seinerseits der Empörung darüber Ausdruck, daß „Fremde in 
die Tore Israels eingedrungen“ seien, daß „Araber und Grieche“ die 
keusche Tochter Judas zur Sünde verführten, daß man Aristoteles Mo 
ses vorziehe und daß jung wie alt sich kopfüber in den Abgrund der 
Metaphysik stürzten; desungeachtet sucht er mit der seiner Würde ge- 
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